Reed Hastings kam 1997 auf die Idee, eine Verleih-Flatrate für DVDs einzuführen, nachdem er sich über eine viel zu hohe Strafzahlung für eine verspätete Rückgabe eines ausgeliehenen Films geärgert hatte. Ende der 1990er Jahre war das ein gewagtes Unterfangen, da damals nur etwa zwei Prozent der Haushalte einen DVD-Abspielgerät hatten. Doch Reed und Co-Gründer Marc Randolph, die sich aus gemeinsamen Zeiten bei der Software-Firma Pure kannten, waren Visionäre. Der Firmenname „Netflix" war ein Statement für den Glauben, dass auch DVDs auf lange Sicht an Bedeutung verlieren würden – zugunsten digitaler Übertragungswege.
Netflix‘ größter Konkurrent zu der Zeit waren nicht Amazon oder Hulu, sondern war die Videotheken-Kette Blockbuster. Doch Hastings, der seine Karriere als Staubsaugervertreter in Boston begonnen hatte, setzte sich nach hartem Konkurrenzkampf (Blockbuster startete einen eigenen Versanddienst) schließlich durch. Zwischenzeitlich wollte Hastings aus Geldnot sogar 49 Prozent seines Unternehmens an Blockbuster verkaufen, was diese jedoch ablehnten. Zehn Jahre später war Blockbuster bankrott.
In der Zwischenzeit expandierte Netflix: 2000 wurde die personalisierte Ranking-Software eingeführt, die jedem Nutzer anhand seiner Bestellungen weitere Vorschläge machte. Zwischen 2002 und 2005 konnte das Unternehmen seinen Kundenstamm auf 4,5 Millionen Abonnenten steigern. Der 2007 begonnene Einstieg in das Online-Streaming brachte Netflix bis 2010 16 Millionen Kunden. Und die Netflix-Aktie stieg seit dem Börsengang 2002 um 9.925 Prozent. Den Erfolg verdankt Netflix auch der Wandlung vom reinen Verwerter zum Produzenten. 2013 veröffentlichte das Unternehmen das erste eigenständig produzierte Format, die von Star-Regisseur David Fincher konzipierte Polit-Serie „House of Cards“.
Ein weniger ruhmreiches Kapitel war der 2011 unternommene Versuch, den Bereich des DVD-Versands vom Online-Streaminggeschäft zu trennen und unter einem anderen Namen (Qwickster) weiterzuführen. Hastings wollte damit eine Bündelung der Ressourcen und Kompetenzen von Netflix auf den zukunftsorientierten, vielversprechenden Onlinemarkt erreichen. Außerdem war das die Antwort auf eine abnehmende Mitgliederzahl, nach einer Erhöhung des Mitgliedsbetrags um 60 Prozent. Die Teilung in DVD/Streaming aber führte lediglich zu Unverständnis unter den Abonnenten, die oft beide Dienste nutzten und sich nun mit zwei Nutzerkonten anmelden und für zwei Leistungen bezahlen mussten. Hastings zog bereits nach wenigen Monaten die Konsequenzen und beendete das Kapitel Qwickster.
Auf Streaming aber konnte man bald nicht mehr verzichten. Seit der Jahrtausendwende bot das Internet die technischen Möglichkeiten für Videostreaming, und wer Filme, Serien etc. sehen wollte, konnte dies auf seinem Smartphone, Tablet oder Computer jederzeit tun. „Fernsehen war gestern“, hieß es, von einer neuen Mediennutzung, von der „Netflix-Revolution“ war die Rede. Immer mehr Medienkonzerne fingen an, ihre Inhalte direkt in eigenen Portalen anzubieten (siehe Disney, Warner, Viacom, Apple). Was man in dem Zusammenhang gut beobachten konnte: manchmal unbeholfene Reaktionen von Medienpolitik und klassischen TV-Sendern.
Interessant, dass niemand genau weiß, wieviele Zuschauer genau eine Netflix-Serie streamen. Eigene Recherchen der Sender gingen z.B. bei der sehr erfolgreichen Netflix-Serie „Narcos" von einer relativ moderaten Zuschauerzahl von 3,2 Millionen aus, was sicherlich keinen Quantensprung im Vergleich zu linear ausgestrahlten TV-Serien darstellen würde. Für Netflix aber spielen Quoten keine Rolle, da das Geschäftsmodell auf dem Verkauf von Abos und nicht von Werbezeit besteht. Dass der Konzern jedoch stetig wächst und sich mit hohen Gagen die besten Regisseure, Schauspieler und Drehbuchautoren leistet, ohne Gewinn zu machen, stört die Traditionssender zunehmend. Vielleicht beginnt ihnen zu dämmern, worüber New York Times-Kolumnist Farhad Manjoo im Februar 2016 spekulierte: dass Netflix auf lange Sicht die gesamte TV-Industrie übernehmen werde, so wie Amazon mit dem Einzelhandel. Ob es soweit kommt, ist unklar. Die alte Einschaltquoten-Fixierung der gebührenfinanzierten Sender aber erscheint heute fragwürdig.
Dank komplexer Algorithmen in Kombination mit einem mehrköpfigen Redaktionsteam kann Netflix das Nutzerverhalten präzise dokumentieren. Damit kann das Unternehmen zu einem gewissen Grad vorhersagen, welche Genres, bzw. welche Genre-Kombinationen für die User besonders attraktiv sind und die eigene Serien-Produktion danach ausrichten. Dieser Ansatz ist ein klarer Bruch mit der Hollywood-Tradition, nach der einzelne Studiobosse lange nur vermuteten, was die Zuschauer interessieren könnte. Netflix weiß, was die Zuschauer interessiert. Durch die Veröffentlichung ganzer Serienstaffeln anstatt einzelner Folgen hat Netflix das sog. „Binge-Viewing" salonfähig gemacht. „House of Cards“-Produzent Beau Willmon hat es 2015 folgendermaßen ausgedrückt: [Netflix] ist die Zukunft, Streaming ist die Zukunft. TV wird in fünf Jahren nicht mehr TV sein… jeder wird streamen.“
Ganz so ist es nicht gekommen. 2019 fing es an: „Netflix-Aktie taumelt“ (New York Times, 17.7.2019), „Netflix enttäuscht bei Abo-Zahlen – Aktie gibt deutlich nach“ (Süddeutsche Zeitung, 18.7.2019). Töne, die man im Zusammenhang mit dem Streaming-Vorreiter gar nicht kannte. Was war passiert? Zunächst hatte Netflix an vielen Standorten die Abopreise erhöht, wahrscheinlich ein Grund, warum man im 2. Quartal 2019 nur 2,7 Millionen neue Nutzer hinzugewinnen konnte. Erwartet hatte Netflix mehr als fünf. Auf dem nordamerikanischen Heimatmarkt sank die Zahl der Abonnenten sogar um 126.000. Nachbörslich ging der Netflix-Titel zwischenzeitlich um über 13 Prozent nach unten. Ein erster Dämpfer also. Und die großen Konkurrenten (Disney, Apple) waren zu der Zeit noch gar nicht am Markt.
Vielleicht, wurde in der ZEIT im September 2019 gemutmaßt, war das auch die Folge eines gewissen Abnutzungseffekts. Netflix produziere mittlerweile Serien „wie am Fließband“, von 2017 (78 Produktionen) bis 2018 habe sich die Zahl der Eigenproduktionen auf 151 fast verdoppelt. Anders gesagt: Beim deutschen Start am 16. September 2014 waren nur fünf Eigenproduktionen im Angebot („so ziemlich das Beste, was es damals auf dem Markt gab“). „Der Auftritt sah aus wie die gut sortierte Auslage eines Designerladens. Heute, fünf Jahre später, ähnelt Netflix dem Hochlager eines Großmarkts.“ Vielleicht hat man irgendwann einfach „alles Gute weggeguckt“?
Das andere Problem: ein verschärfter Wettbewerb, wachsende Konkurrenz. Auf Warner Bros. Television-Serien wie „Friends“, „The Prince of Bel-Air“ und „Pretty Little Liars“, die nach ihrer normalen TV-Ausstrahlung erfolgreich auf Netflix liefen, musste Netflix verzichten. Sie gingen im Frühjahr 2020 zur Warner-eigenen Streaming-Plattform HBO Max. Und dann sind da jetzt weitere Streamingdienste (z.T. nur in den USA) entstanden wie Amazon Prime, Disney Plus, Peacock, CBS all access, Apple TV+, Hulu. Nach dem Corona-bedingten Abo-Boom im ersten Halbjahr 2020 hat der Kundenandrang bei Netflix jetzt stark nachgelassen.