Wer mich beißt, den beiß ich wieder

Der Kräuterpfarrer Johann Künzle hat einmal gesagt: „Hätte die Brennnessel keine Stacheln, wäre sie schon längst ausgerottet worden, so vielseitig sind ihre Tugenden!“

Doch Eigenschaften wie hoher Vitamin-Gehalt und Reichtum an Mineralien wie Eisen, Kalium und Magnesium sind nicht ihr einziger Vorteil: Sie wächst in Frühjahr und Sommer an jeder Ecke, da brauchst du nicht weit gehen und kannst trotzdem ernten. Schöner schenkt sich die Natur selten. Die Brennnessel kann also erntefrisch verarbeitet werden und man spart auch noch Geld.

Wie verschmutzt sind sie in der Stadt? Du solltest sie nicht gerade auf einer Verkehrsinsel pflücken, aber im Park oder in einer Seitenstraße sind sie geschützt und dadurch weniger belastet; waschen muss man sie auf jeden Fall.

Die Brennnessel packst du nicht mit Samt-, sondern am Besten mit Haushaltshandschuhen an. Oder aber du schnappst dir eine Grillzange. So bewaffnet gewinnst du den Kampf: Packe die Stengel und schneide sie mit einer Haushaltsschere unten ab. Auch in der Küche kommst du auf diese Weise mit den stechenden Gesellen zurecht.

Noch ein Tipp fürs Pflücken: Generell darf die Brennnessel geerntet werden, reiß sie aber bitte nicht mit der Wurzel heraus, damit sie nachwachsen kann.
Anfängerfehler: Im Kräuterglück schwelgend zu viel ernten und es dann doch nicht verbrauchen. In Deutschland gilt die so genannte „Handstrauß-Regel“, das heißt, man darf nur so viele Wildkräuter pflücken wie in einen Handstrauß passen.

REZEPT I
Brennnessel-Spinat (für zwei Personen)

Zutaten:

Zubereitung:
Die Brennnesseln in einem Topf mit heißem Wasser einige Minuten blanchieren. Danach abseihen und fein hacken. Den Sud zur Seite stellen.

Die Butter in einer Pfanne erhitzen und das Mehl langsam zugeben und kräftig umrühren, damit eine Mehlschwitze entsteht. Den Sud dazugeben, würzen und köcheln lassen.

Zuletzt den Sauerrahm und die Brennnesseln zugeben und abschmecken.

Rezept II
Brennnessel-Grapefruit-Smoothie (für zwei Personen)

Zutaten: 

Zitrone und Grapefruit schälen, stückeln und in den Mixer geben. Brennnesseln waschen (gerne mit Stielen), schneiden und den Zitrusfrüchten hinterherschicken. Behälter mit Wasser auffüllen. Mixen.

Tipp: Experimentiere ein wenig: Schmeckt der Smoothie zu sehr nach Wiese, kannst du ihn zum Beispiel mit einer Banane oder Erdbeeren aufpeppen.

Letztens ist es wieder passiert: Ich liege mit meinem Partner im Bett, verschlungen in einer innigen Umarmung, als mich plötzlich ein animalischer Impuls überkommt. Ich muss ihn einfach beißen.

Es war nicht das erste Mal und ich werde es definitiv wieder tun. Wenn es passiert, rasen Gefühle von grenzenloser Zuneigung, Freude und ein Hauch von Verwunderung durch meinen Körper. Das Zubeißen schafft mir etwas Erleichterung.

Ich will meinem Partner damit nicht wirklich wehtun. Ich will viel mehr seinen Arm, seine Schulter oder sein Handgelenk sanft zwischen meinen Zähnen halten. Ein bisschen wie ein Hund, der liebevoll ein rohes Ei in seinem Maul transportiert.

Mein Partner hasst das. Schließlich bin ich kein Hund, sondern ein erwachsener Mensch – wenn auch einer mit miserabler Impulskontrolle. Mir ist bewusst, dass dieses Verhalten nicht besonders rational oder gesellschaftlich akzeptabel ist. In letzter Zeit habe ich allerdings immer mehr Memes wie das hier gesehen. Das hat immerhin dazu geführt, dass ich mich ein kleines bisschen weniger durchgeknallt fühle.

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Ist dieses Verhalten normal? Vielleicht schon, immerhin gibt es den Ausdruck "Jemanden zum Fressen gernhaben". Ist es, wie das Meme andeutet, vielleicht ein geschlechtstypisches Verhalten? Und was zur Hölle soll das? Nach einem Instagram-Aufruf bombardierten Beißende jeden Alters, Geschlechts und verschiedenster sexueller Ausrichtung meine Inbox mit Nachrichten. Lauter sogenannte normale Menschen, die ebenfalls diesen Drang verspürten.

"Ich würde sagen, dass es schon auch etwas Sexuelles ist. Es macht mich auf jeden Fall an, meine Partnerin zu beißen", sagt die 23-jährige Vanessa. "Gleichzeitig hat es etwas vom Drücken eines Stressballs. Es kann zum Beispiel passieren, dass wir eine Straße entlanglaufen und ich sie dann aus dem Nichts frage, ob ich in ihren Arm beißen darf."

Dieses Gefühl der Erleichterung scheinen alle beißenden Menschen zu spüren. "Als Kind habe ich in Kissen und Plüschtiere gebissen, um mit Aufregung, Wut und anderen starken Gefühlen umzugehen", sagt Murray, 25. Er beiße regelmäßig seine Freundin. "Ich schätze, es passiert dann, wenn mich dieses starke Gefühl von Zuneigung für meine Partnerin überkommt. Es ist ein bisschen so, wie wenn Menschen sagen, dass ein Welpe so süß ist, dass sie ihn ganz fest drücken wollen."

Diese lieb gemeinten, aber im Kern aggressiven Handlungen – den Freund beißen, einen Welpen drücken, ein Kind in die Wange kneifen – blieben lange ungeklärt. Erst 2015 gab die Wissenschaft dem Phänomen einen Namen: dimorphe Gefühlsäußerung. Der Begriff stammt von der Sozialpsychologin Oriana Aragón und meint nach außen gerichtetes Verhalten, das vermeintlich im Widerspruch zu den inneren Gefühlen steht.

Den Anstoß für Aragóns Forschung lieferte 2012 eine Late-Night-Show, in der die Schauspielerin Leslie Bibb zu Gast war. Die damalige Doktorandin erinnert sich daran, wie Bibb erzählte, dass sie einen Hundewelpen gesehen habe, der so süß gewesen sei, dass sie ihm "gegen den Kopf treten" wollte.

Während die Schauspielerin das sagte, zeigte sie ihre Zähne und ballte ihre Hände zu Fäusten. "Wenn man nur diesen Ausschnitt sehen würde, wäre man sich sicher, dass sie aggressiv ist, obwohl das nicht der Fall war". Dieser Widerspruch brachte Aragón dazu, sich weiter mit diesen ganzen Verhaltensweisen zu befassen, die "oberflächlich betrachtet im Gegensatz zu dem stehen, was wir innendrin fühlen". Das war der Beginn der Forschung zu dimorphen Emotionen und der sogenannten Cute Aggression.

Aragón sagt, dass dieses Phänomen stark kontextabhängig sei. Eine ganze Reihe von Faktoren müssen beachtet werden, um etwas als verspielte Aggression bezeichnen zu können.

"Wenn du deinen Partner beißt, würden andere ohne das Wissen, dass hier eine liebevolle Beziehung vorliegt, dich vielleicht als aggressive Person wahrnehmen", sagt sie. "Wenn wir den Kontext kennen, erkennen wir auch, dass es ein Zeichen der Zuneigung ist."

Aber warum haben wir andere zum Fressen gern? "In unserer Studie fanden wir heraus, dass Menschen, wenn sie diese starke Bewunderung oder Zuneigung spürten und dann ihre Cute Aggression auslebten, ihnen das dabei half, von dieser sehr starken emotionalen Erfahrung runterzukommen. Es half ihnen dabei, ihre Gefühle zu regulieren", sagt Aragón. "Wenn du also mit deinem Partner zusammen bist und diesen super starken Drang verspürst, beißt du zu und das hilft dir dabei, mit diesen Gefühlen klarzukommen."

Falls du dir immer noch Sorgen machst, kannibalische Tendenzen zu haben: Cute Aggression ist ziemlich normal. "Der Anteil der Betroffenen bewegt sich im Bereich von 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung", sagt Aragón.

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