Wer entscheidet wann eine bank systemrelevant ist

Systemrelevanz ist in dieser Zeit des globalen, absoluten Ausnahmezustands das Wort der Stunde geworden. Plötzlich und endlich erhalten Berufe zu Recht neue Bedeutung und Ansehen, die außerhalb solcher Krisenzeiten (zu) wenig Wertschätzung in der Gesellschaft genießen. Jetzt stellen wir uns abends auf den Balkon und applaudieren für die Helden unserer Gesellschaft, die vielen KassiererInnen, PflegerInnen und PostbotInnen, die der Gesundheitskrise trotzen und unser gesellschaftliches System im wahrsten Wortsinn „am Leben“ erhalten.

Doch was wird nach der Krise geschehen mit den systemrelevanten Berufsgruppen?

Zu Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu definieren, wer oder was systemrelevant ist. Schließlich waren z.B. während der letzten, großen Krise im Jahr 2008/09 die Banken systemrelevant. Während der Corona-Krise rücken nun andere Tätigkeitsfelder in den Blickpunkt. Sogar zwischen der Bewertung in den einzelnen Bundesländern bestehen Unterschiede.

Eine Orientierung bietet deshalb die Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen nach dem BSI-Gesetz, vom Bundesamt für Justiz: Demnach zählen unter anderem Feuerwehr, Polizei, Justiz, Informationstechnik und Telekommunikation, Logistik, Verkehr, Entsorgung, Ernährung und Hygiene dazu. Ablesen lässt sich Systemrelevanz auch daran, ob ein Mitarbeiter eines Unternehmens während einer etwaigen, behördlichen Ausgangssperre noch einen Passierschein erhält, um weiter produzieren und arbeiten zu dürfen.

Für Hersteller von Kunststoff-Lebensmittelverpackungen, wie Fa. Maag, ist die Situation rechtlich mittlerweile eindeutig: Wir sind systemrelevant für die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Und auch im Bewusstsein der Verbraucher scheint sich im Zuge von Covid 19 Einiges verändert zu haben: Das in der Öffentlichkeit bislang weitgehend emotional betriebene Bashing von Kunststoffverpackungen ist quasi verschwunden; den Verbraucher scheint plötzlich kein schlechtes Gewissen mehr zu plagen, verpackte Lebensmittel zu kaufen. Das Sicherheitsbedürfnis und die Angst vor Kontamination mit Schadstoffen sind wichtiger geworden, als unverpackt zu kaufen. Wer möchte in dieser Zeit schon, dass Jemand vor unverpackten Gurken steht und einmal kräftig niest? Niemand! Also greifen wir alle wieder zu verpacktem Gemüse und sind dankbar für den Schutz, den Verpackungen bieten.

Und nach der Krise? Was ist dann mit der Wertschätzung? Diese Frage stellen sich nicht nur KassiererInnen, LogistikerInnen und PflegerInnen. Darauf möchten auch wir als Packmittel-Produzenten eine Antwort. Und natürlich hoffen wir, dass später nicht vergessen wird, wie wichtig der Schutz durch „Plastikverpackungen“ ist.  Und wir hoffen ebenfalls, dass sich die öffentliche Debatte künftig mehr an Fakten orientiert. Die Kunststoffindustrie ist gemeinsam mit Lebensmittelindustrie, Handel und Politik  dazu aufgerufen, langlebige Stoffströme aufzubauen und effizient mit Rohstoffen umzugehen. Dem Verbraucher wird die Aufgabe zufallen, Rohstoff-Verschwendung zu vermeiden und Abfalltrennung vorzunehmen. Was er nicht tun muss, weil es keinen Sinn ergibt: Ohne wissenschaftlich fundierte Ökobilanz Plastikalternativen bzw. die Abschaffung von Plastikverpackungen fordern. Denn wir sind systemrelevant, nicht nur in der Krise!

Jeder will systemrelevant sein. Aber ohne wen geht im Land tatsächlich nichts?

Wer entscheidet wann eine bank systemrelevant ist
© dpaAuch Kellner sind systemrelevant – hier im Mai in Kühlungsborn

Systemrelevant will jeder sein, denn so viel hat sich herumgesprochen: Wer dieses Etikett hat, der hat es besser. In der Finanzkrise begann das: Die Banken galten als systemrelevant, darum wurden viele vom Staat vor der Pleite gerettet. In der Corona-Pandemie waren es Ärztinnen und Krankenpfleger, Supermarkt-Mitarbeiter, Altenpfleger und so weiter. Mehr Geld gab es in diesem Fall nicht für jeden, aber allein die Notbetreuung für Kinder von systemrelevanten Mitarbeitern hat dazu geführt, dass der Status recht begehrt war.

Die Angestellten im Gesundheitssystem reichten aber nicht. Schnell stellte sich heraus: In der arbeitsteiligen Welt sind ziemlich viele unterschiedliche Menschen nötig, um das Land am Laufen zu halten. Die Liste der systemrelevanten Berufe jedenfalls wuchs immer weiter: die Müllabfuhr gehörte dazu, Lastwagenfahrer, Wasserwerker und IT-Experten. Für die hat niemand geklatscht? Schade.

Systemrelevanz hat wenig mit Popularität zu tun

Doch für die Systemrelevanz ist erst mal nicht wichtig, welche Berufe besonders populär sind. Wenn Fachleute über Systemrelevanz reden, dann geht es um eine simple Frage: Welche Arbeiten müssen weitergehen, weil sie Schlüsselleistungen fürs gesamte Land bereitstellen, ohne die alles andere zusammenbricht? Dabei ist es egal, ob die Tätigkeit warme Gefühle weckt und ob sie als sinnstiftend oder altruistisch gilt. Deshalb galten Banken schon immer als systemrelevant: Ohne sie stockt der Geldverkehr, die Unternehmen kommen nicht mehr an ihr Geld, viele gehen pleite. Einerlei, ob man Banker mag oder nicht – wenn der Staat die Banken nicht rettet, hat er hinterher noch weniger Geld für all die wünschenswerten Ausgaben. Selbst wenn die Bankenrettung also Milliarden kostet, ist das gut angelegtes Geld, das noch größere Verluste verhindert. So ging das Argument.

Und wenn jetzt die zweite Corona-Welle kommt – welche Branchen sind dann die wichtigsten? Das ist wichtig zu wissen, wenn im Herbst möglicherweise neue Einschränkungen des Lebens und der Arbeit drohen. Zum Glück hat sich über den Sommer ein Ökonomenteam ans Werk gemacht, um diese Frage zu untersuchen. Es besteht vor allem aus Mitarbeitern des an die Bundesagentur für Arbeit angeschlossenen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung. Dabei ist zum Beispiel der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. Sie haben Daten des statistischen Bundesamtes analysiert, um festzustellen, wie die einzelnen Branchen miteinander verflochten sind.

Ihre erste Frage: Für welches System sollen die Arbeiten überhaupt relevant sein? Sind die Branchen wichtig, die besonders viele Vorprodukte an andere Unternehmen liefern, deren Ausfall also die Arbeit anderswo behindert? Oder sind die Branchen wichtig, die besonders viele Vorleistungen aus anderen Unternehmen bekommen und dort für Pleiten sorgen können? Oder aber sind die Branchen wichtig, deren Probleme besonders viele Arbeitsplätze gefährden? Die Fragen hören damit noch nicht auf. Insgesamt legen die Forscher elf verschiedene Kriterien dafür an, was Systemrelevanz sein kann.

Ohne Logistiker bricht alles zusammen

Wichtig ist zum Beispiel die Versorgung anderer Unternehmen: Wenn der Müller ausfällt, hat der Bäcker kein Mehl zum Backen, und im Supermarkt liegt am Ende kein Brot. Dieser Gedanke liegt nahe. Es gibt aber Branchen, die noch entscheidender sind als der Müller und der Bäcker, wie die Analyse der Ökonomen zeigt: Am wichtigsten von allem sind die Handels- und Logistikbranche. Großhändler, Supermärkte, Lagerei und so weiter – diejenigen also, die die Verteilung von Waren organisieren. Wenn die ein Problem haben, bewegt sich in Deutschland nur noch wenig. Ebenfalls weit oben stehen Branchen, die mit Immobilien zu tun haben, die IT-Dienstleister – und, ja, auch die unbeliebten Banken sind wichtig. Dabei sind den Deutschen nur wenige dieser Branchen in den Sinn gekommen, als man im Frühling über Systemrelevanz nachdachte. Aber es ist ja wahr: Auch die Krankenschwestern können ihre Arbeit nur dann gut machen, wenn ihnen jemand Medikamente ans Krankenhaus liefert und wenn ihnen jemand die IT-Probleme löst. Es sind solche Branchen, ohne die praktisch niemand sonst arbeiten kann.

Das war eine Betrachtung für die unmittelbare Pandemie, in der das Überleben organisiert werden muss. Es gibt aber noch andere Perspektiven, zum Beispiel: Welche Branchen sind wichtig, damit Deutschlands Wohlstand langfristig erhalten bleibt? Wessen Schwierigkeiten bringen besonders viele Arbeitsplätze in Gefahr? Für diese Fragen reichten die Daten des Statistischen Bundesamtes nicht aus. Die Ökonomen brauchten zudem Modelle dafür, wie sich Preise und Beschäftigtenzahlen entwickeln.

Kellner und Künstler sind auch systemrelevant

Die Ergebnisse sind eine Überraschung. Die meisten Arbeitsplätze sind abhängig von „sonstigen Unternehmensdienstleistungen“ – eine muntere Mischung von Sicherheitsdiensten, Sekretariatsdienstleistern und anderen Branchen. Wenn die für eine Milliarde Euro weniger arbeiten, dann sind rund 35.000 Stellen gefährdet. Der Grund: Diese Berufe lassen sich kaum ersetzen. Wenn sie ausfallen, dann trifft das alle Branchen. Die Preise steigen, und die Menschen haben weniger Geld für anderes übrig; also gehen überall Arbeitsplätze verloren, so schätzen es die Ökonomen.

Dicht dahinter kommen die Künstler und das Gastgewerbe, zwei Branchen, in denen sehr schnell sehr viele Arbeitsplätze verlorengehen, weil dort in guten Zeiten sehr personalintensiv gearbeitet wird– und zwei Branchen, die von der Corona-Krise besonders betroffen sind. In diesem Sinn zeigen die Ökonomen also, dass auch Künstler und Kellner systemrelevant sind, zumindest wenn es um die langfristige Zukunft der Arbeitsplätze in Deutschland geht.

Und was ist mit der Autoindustrie, die ja als besonders wichtig für Deutschlands Wohlstand gilt und deren Strukturwandel in diesen Tagen zu vielen Entlassungen führt? Die Autoindustrie taucht in diesen Tabellen auch auf, allerdings nicht immer ganz oben. So viel lässt sich sagen: Probleme in der Autoindustrie kosten weniger Arbeitsplätze als in anderen Branchen. Pro verlorener Milliarde an Wertschöpfung in der Autoindustrie gehen insgesamt rund 10000 Arbeitsplätze verloren, wenn auch relativ gut bezahlte. Wahr ist: Probleme der Autoindustrie belasten relativ schnell auch ihre Zulieferer und andere Branchen. Wahr ist aber auch: In der Branche wird nicht sehr personalintensiv gearbeitet. Die Gastronomie hat dreimal so viele Mitarbeiter wie die Autoindustrie, also sind von den Schwierigkeiten der Kfz-Bauer erst mal nur relativ wenige Menschen betroffen.

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Welche Banken in Deutschland sind systemrelevant?

Die Deutsche Bank ist derzeit das einzige deutsche Institut, das auch international als systemrelevant eingestuft wird. Mit der Forderung nach einem solchen Notfallkatalog sieht sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) als Vorreiter unter den nationalen Aufsichtsbehörden in Europa.

Welche Schweizer Banken sind systemrelevant?

Systemrelevante Banken müssen besondere Anforderungen an Kapital und Liquidität erfüllen. Die systemrelevanten Schweizer Institute sind die UBS und die Credit Suisse, die Zürcher Kantonalbank, die Raiffeisen sowie die PostFinance.

Ist die Deutsche Bank systemrelevant?

Die Deutsche Bank wurde als einzige von 30 global systemrelevanten Banken in der diesjährigen Klassifizierung des FSB einer niedrigeren Kategorie zugewiesen.

Welche Banken werden von der EZB beaufsichtigt?

Januar 2020 direkt von der EZB beaufsichtigt. Vier Banken wurden unter die direkte Aufsicht der EZB gestellt, weil im Zuge des Brexit eine deutliche Zunahme ihrer Geschäftstätigkeit erwartet wurde. Dabei handelt es sich um UBS Europe SE, J.P. Morgan AG, Morgan Stanley Europe Holding SE und Goldman Sachs Bank Europe SE.