Die Retro-Welle im Fernsehen rollt fleißig weiter: Angeregt durch den Erfolg des Comebacks von „Geh aufs Ganze!“ im vergangenen Herbst in Sat.1, bestätigte RTL vor wenigen Wochen die Rückkehr von „Der Preis ist heiß“ und ließ bis zur Ausstrahlung nicht unnötig lange Zeit verstreichen. Die erste Ausgabe der XXL-Neuauflage ist am Mittwoch (4. Mai) über die TV-Bildschirme geflimmert. Wie bei „Geh aufs Ganze!“ wurde auch in diesem Fall eine ursprünglich rund 30-minütige Sendung zu einer Primetime-Show mit einer Bruttolänge von zwei Stunden aufgebläht. Ist das gut gegangen? Show
Am bewährten Grundprinzip der Show wurde glücklicherweise nicht viel verändert: Als die altbekannte Titelmelodie erklingt, ist das von Warm-Upper Christian Oberfuchshuber bereits auf Pegel gebrachte Studiopublikum in ausgelassener Stimmung und jubelt dem zurückgekehrten und sichtlich gerührten Moderator Harry Wijnvoord ekstatisch zu. Der sympathische Niederländer hat schon lange davon geträumt, noch einmal „seine“ Show präsentieren zu dürfen und dank des Nostalgie-Booms wurde ihm dieser Wunsch nun nach 25 Jahren Pause tatsächlich erfüllt. Lobenswerte Geste: In seiner Anmoderation gedenkt er seinem ehemaligen, 2019 verstorbenen Co-Moderator Walter Freiwald. Mit dem „großen Hallo“ schickt das Publikum einen Gruß „nach oben“. Wie in den 90ern: Ausgelassene Stimmung im Publikum RTL/Stefan GregorowiusNeu an Wijnvoords Seite ist Thorsten Schorn, der noch aus der kurzlebigen „Der Preis ist heiß“-Neuauflage übrig geblieben ist, die 2017 von Wolfram Kons beim kleinen RTLplus präsentiert wurde (wo sie kaum jemand wahrgenommen hat). Es ist schön, dass die Sender nun endlich erkannt zu haben scheinen, wie wichtig es ist, Neuauflagen von Kultshows mit den Originalmoderatoren von damals zu besetzen, sofern diese noch verfügbar sind. Positiv auch: Im Gegensatz zu „Geh aufs Ganze!“, wo Co-Moderator Daniel Boschmann dem Zockerkönig Jörg Draeger unnötig viel Sendezeit wegnimmt, beschränkt sich Schorn auf das, was nun mal seine Aufgabe ist: Er stellt augenzwinkernd die Produkte vor und ruft die Kandidaten aus dem Studiopublikum auf, die die Chance erhalten, in der „Show der fantastischen Preise“ ebenjene abzusahnen – sofern sie es über die Vorrunde hinausschaffen. Zu Beginn werden nach dem Zufallsprinzip vier Zuschauer ans Ratepult gerufen. Mit geschicktem Schätzen eines Produktwerts können sie sich so als Kandidat für eine Haupt-Spielrunde qualifizieren. Wer am nächsten am korrekten Preis liegt und dabei „nicht überbietet“, kommt zum Zug. Anschließend geht es in wechselnden Spielen zumeist ebenfalls darum, Preise richtig zu schätzen. Ein Wiedersehen gibt es unter anderem mit Klassikern wie „Plinko“, „Lauf und Tausch“, „Die verflixte 7“ und „Einlochen“. Lediglich „Absturz“ mit dem „Kraxelhuber“ wird in der ersten Folge schmerzlich vermisst – in den kommenden Ausgaben wird das Kultspiel allerdings dabei sein. Die Requisiten versprühen Retro-Charme und gleichzeitig wirkt die Studiokulisse zeitgemäß modern. Das Publikum beteiligt sich wie damals lautstark und unterstützt die Kandidaten mit „Mehr!“- oder „Weniger!“-Rufen bei der Preisfindung. Das Kultspiel „Plinko“ ist natürlich wieder dabei RTL/ScreenshotHarry Wijnvoord, inzwischen nicht mehr mit Schnauzer, sondern mit weißem Vollbart, führt genauso charmant durch die Sendung wie damals, als hätte er die vergangenen 25 Jahren nichts anderes gemacht. Der inzwischen 72-Jährige ist stets auf der Seite der Kandidaten, fiebert mit ihnen mit und stellt ihnen interessiert Fragen, ohne dabei indiskret zu werden. In der ersten Ausgabe des Revivals nimmt sich Wijnvoord auch die Zeit, langjährige Weggefährtinnen einzeln vorzustellen. So gibt es bei den Models ein Wiedersehen mit Ines Völker und Alexandra Drehsen, die schon in den 90ern an Bord waren und nun erneut sanft über die Preise streichen dürfen. Mit Marcella de Souza und Pascal Mittmann sind außerdem zwei Models dabei, die auch in der 2017er Version mitwirkten. Nach den ersten vier Spielrunden dürfen die Kandidaten nacheinander einmal am legendären „Rad“ drehen, auf dem Zahlen zwischen 0 und 100 aufgedruckt sind. Wer die höchste Punktzahl erlangt, qualifiziert sich automatisch für das Finale, in dem es um den Superpreis geht. Dadurch, dass es sich nicht wie früher um eine kurze Show im Tagesprogramm handelt, sondern um eine zweistündige Abendsendung, wiederholt sich dieses Prozedere noch zwei weitere Male. Insgesamt kommen in der Auftaktfolge elf Kandidaten an die Reihe (eigentlich waren sogar zwölf angekündigt, doch aus unbekannten Gründen fehlt der oder die Zwölfte). So sind es aber immer noch elf Schätzrunden, elf reguläre Spielrunden und drei Mal „Das Rad“ – und darin liegt wie auch bei „Geh aufs Ganze!“ das größte Problem. So sympathisch Harry Wijnvoord auch ist und so unterhaltsam die einzelnen Spiele sein mögen – elf Spielrunden am Stück, in denen es trotz Variation letztlich immer um das Schätzen von Preisen geht, sind einfach zu viel des Guten. Es hat einen Grund, weshalb das Format als 30- bis 45-Minüter konzipiert wurde und im Ursprungsland USA auch Primetime-Specials diese Länge nicht überschreiten. Sage und schreibe seit 1972 ist „The Price Is Right“ ununterbrochen in den Vereinigten Staaten im Programm. Unschön sind zudem die erkennbaren unsauberen Schnitte, um die deutlich längere Aufzeichnung auf die gewünschte Dauer von netto knapp 84 Minuten zurechtzustutzen. Insbesondere die Passagen, in denen Wijnvoord vor dem jeweiligen Spiel mit den Kandidaten spricht, wirken oftmals stark gekürzt und dadurch unnatürlich gehetzt. Auch nachträglich eingefügter Publikumsapplaus an Stellen, an denen offenbar zu wenig gejubelt wurde, trüben das Sehvergnügen. Zudem fehlt in den regulären Spielrunden eine früher charakteristische Untermalung mit Musik, was der Stimmung im Studio noch zusätzlichen Drive verliehen hätte. Bei „Lauf & Tausch“ gilt es, vier Produkten die richtigen Preise zuzuordnen. RTL/ScreenshotDavon abgesehen haben sich die Verantwortlichen aber ordentlich ins Zeug gelegt, um das alte Feeling wieder aufleben zu lassen. Die Preise können sich sehen lassen. So gibt es gleich mehrfach die Chance auf ein „nigelnagelneues Auto“ – teilweise sind auch skurrile Scherzpreise dabei, die für den einen oder anderen Lacher sorgen. Im abschließenden „Superpreis“ wird ebenfalls nicht gekleckert, sondern geklotzt. Den drei Kandidaten mit der höchsten erdrehten Punktzahl aus den „Rad“-Runden wird ein Paket aus mehreren Gewinnen präsentiert. Die Models (und Warm-Upper Oberfuchshuber) stellen ihnen die einzelnen Produkte im Rahmen einer Geschichte vor. Die Aufgabe der Kandidaten besteht darin, die geschätzten Verkaufswerte der Gewinnartikel zu addieren, ohne die Summe zu überbieten und ohne mehr als 5.000 Euro vom tatsächlichen Wert entfernt zu liegen. Wem dies gelingt und am nächsten an den Gesamtwert herankommt, hat den „Superpreis“ gewonnen. Im Gegensatz zu „Geh aufs Ganze!“ werden die vorerst drei produzierten Ausgaben von „Der Preis ist heiß“ nicht in einem Rutsch innerhalb von drei Wochen gezeigt, sondern in größeren Zeitabständen, um einen Eventcharakter zu kreieren. Die zweite Folge soll am 8. Juni ausgestrahlt werden, bei der dritten produzierten Sendung handelt es sich um ein Weihnachtsspecial. Das ist vielleicht gar keine schlechte Taktik, denn wie lange und dauerhaft sich das Retro-Pferd im Fernsehen noch reiten lässt, bleibt abzuwarten. In wohldosierter Form dürfen Harry Wijnvoord und Thorsten Schorn aber sehr gerne auch noch öfter Freude in den Wohnzimmerstuben der Zuschauer verbreiten. Das Studio von „Der Preis ist heiß“ RTL/Stefan Gregorowius
Über den AutorGlenn Riedmeier ist Jahrgang '85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. "Bim Bam Bino", "Vampy" und der "Li-La-Launebär" waren ständige Begleiter zwischen den "Schlümpfen", "Familie Feuerstein" und "Bugs Bunny". Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. "Ruck Zuck" oder "Kaum zu glauben!". Auch für Realityshows wie den Klassiker "Big Brother" hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie "Die Harald Schmidt Show" und "PussyTerror TV", hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie "Eine schrecklich nette Familie" und "Roseanne", aber auch schräge Mysteryserien wie "Twin Peaks" und "Orphan Black". Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials. Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit
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