1000 wer ist die nummer 1 seit 2015

Was muss man alles können, um als Alleskönner zu gelten? Eine interessante Frage, der das ZDF mit der Kerner-Show "1000 - Wer ist die Nummer 1?" eine überraschende Antwort gibt: Wer nicht gut joggen kann, ist raus.

Beim Zirkeltraining hätte Goethe garantiert schön verkackt. Da hätten dem Universalgenie seine Kenntnisse in Meteorologie, Archäologie und Farbenlehre, sein Verständnis für Chemie und Mathematik - von seiner Dichterei ganz abgesehen - einen feuchten Stabreim genutzt.

Dass das ZDF die Suche nach seinem allumfassend begabten Renaissance-Menschen ausgerechnet mit einem fiesen Fitness-Parcours beginnt, wirkt sozialdarwinistisch uncharmant bis stumpf krafthuberisch - ist aber natürlich praktisch, wenn von 1000 Kandidaten am Ende einer übrig bleiben soll und man die Schlaffis gleich am Anfang aussortieren kann.

Nervenstärke, Geschicklichkeit und Kreativität sollen in "1000 - Wer ist die Nummer 1?" später ebenfalls noch getestet werden, heißt es, doch zuerst müssen auf 1,3 Kilometern Schaumbecken, Reifenstapel und Gitterlabyrinth überwunden werden.

Dass die Moderatoren Johannes B. Kerner und Kate Abdo vor dem Start noch stolz die Diversität des Teilnehmerfeldes betont hatten, wirkt da schon nach ein paar Minuten wie billiger Hohn: Wie soll sich hier selbst ein trainierter 70-Jähriger gegen einen fitten 18-Jährigen durchsetzen?

Ein einziges Sausage-Fest - nur 26 Frauen sind dabei

Bei der Aufzeichnung der Sendung kollabierte dann auch ein 61-jähriger Kandidat, erlitt einen Herzinfarkt und musste von den Sanitätern reanimiert werden, von weiteren Verletzten war die Rede - im Zusammenschnitt der Sendung ist davon verständlicherweise nichts zu sehen.

Die erste Frau grabscht sich Kerner am Zieleinlauf ans Mikrofon, nachdem schon 300 Männer über die Ziellinie trabten. Die Absurdität fällt am deutlichsten beim Studioeinmarsch der 500 Kandidaten auf, die nach dem Fitnesstest noch dabei sind: ein einziges Sausage-Fest, wie man so schön sagt, nur 26 Frauen sind dabei.

Von den 1000 Kandidaten schafft es dann am Ende nur eine Frau unter die letzten 25, eine Lehrerin. Was läge näher, als sie direkt mal zu fragen: Und wo ist ihr Mann? Schließlich sei sie ja frisch verlobt, das ist ja ein Ding! Verliebt am Ende wohl auch noch? Der Mann indes ist bereits ausgeschieden. Wo war sie denn besser als er, wird die bestaunenswerte Frau gefragt. Die Antwort klingt frappant nach Selbsthilfegruppe: "Ich wusste die Farbe der Schnürsenkel".

Wie ein Marzipanpaar auf der Hochzeitstorte stehen Kerner und Abdo zu Beginn im Studio auf einem Moderationssockel, und dazu passend ist auch die ambitioniert gedachte Allround-Show ein mehrstöckiges Debakel. Wegen technischer Probleme und Fehlplanung soll schon die Aufzeichnung der Sendung bis in die singende Nacht gedauert haben: Über den Parcours wurden die Zuschauer gegen 19 Uhr gescheucht, das letzte Spiel soll wohl gegen 3 Uhr begonnen worden sein.

Wegen der Überlänge wurde die Ausstrahlungszeit um eine gute halbe Stunde gekürzt, weil man es schlicht nicht geschafft hatte, alle geplanten Spielideen in menschenwürdiger Zeit zu realisieren. Die Spiele selbst sind fad, oft nur erweiterter Kindergeburtstag, und die Kategorien teilweise überraschend benannt.

Wie viel hat es mit Intelligenz zu tun, die Refrainteile von "Atemlos durch die Nacht" in die richtige Reihenfolge bringen zu können - und wenn die Kandidaten bei der Auflösung dann sofort in einen dumpfen Mitklatschreflex verfallen? Und kann man Kreativität wirklich messen, indem man Menschen ein vorgegebenes Kartenhaus nachbauen lässt?

Gewinnen oder verlieren? Kann beides passieren

Unterbrochen wurden die Spiele von ebenfalls nicht recht überzeugenden Showeinlagen wie bizarr windschiefem Sarah-Connor-Gesang. Oder einem sonderbaren Künstler, der Kunststückchen mit einem Tabletcomputer vollführte. In den USA werde der in die tollsten Shows eingeladen, erklärte Kerner, und führte das für alle Dummis daheim in Onkel-Karlheinz-Weltmännischkeit noch weiter aus: "Wo sonst Rihanna, Katy Perry, manchmal Heidi Klum oder sogar Barack Obama auftreten!"

Die Marzipan-Moderatoren, namentlich Kerner, nämlich machen das Ganze nicht besser. "Er will das Spiel aktiv gewinnen", kommentiert er die Bemühungen eines Kandidaten: "Aber nicht vergessen: Man kann es auch verlieren."

Wie ernst kann man einen Moderator nehmen, der Sachen sagt wie "Seit wann bist du schon 18, seit letztem Dezember? Wir gratulieren trotzdem nachträglich." Oder "19 Sektgläser, ein Wahnsinnsfinalspiel"? Das dann, irgendwo tatsächlich Wahnsinn, allerdings lediglich darin bestand, die Gläser nach dem Prinzip des Spiels Jenga immer weiter aufeinander zu stapeln. Worauf einer der beiden Endkandidaten direkt in Schockschwäbisch verfällt: "Blei bloß stande, i sagsch dir."

Ein krudes Konzept, technisch brutal umgesetzt, fürs Fernsehen dann aber in geradezu betulicher Anmutung präsentiert: "Das war die Premiere von 1000", sagt Kerner am Ende. Das nächste Mal könnte er seine Teilnehmerschar vielleicht einfach auf zehn Männer zwischen 20 und 40 Jahren reduzieren. Wenn es ein nächstes Mal gibt.

Zur Autorin

Anja Rützel, Jahrgang 1973, taucht für den SPIEGEL unter anderem im Trash-TV-Sumpf nach kulturellem Katzengold. In ihrer Magisterarbeit erklärte sie, warum »Buffy the Vampire Slayer« eine sehr ausführliche Verfilmung der aristotelischen Argumentationstheorie ist. Sie glaubt: »Everything bad is good for you« – und dass auch »Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!« tieferen Erkenntnisgewinn liefern kann. Ihr Buch über ihre Liebe zu Take That erschien als Teil der Musikbibliothek bei Kiepenheuer und Witsch.