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Gastbeitrag von Gabor Steingart: Acht Punkte, die gegen Lagarde als EZB-Chefin sprechen

Nach fast drei Jahren auf dem Posten der EZB-Präsidentin darf man ein erstes Zwischenfazit wagen. Es fällt für Christine Lagarde wenig schmeichelhaft aus.

In der Abfolge von Wim Duisenberg, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi ist Lagarde die mit Abstand schwächste Besetzung an der Spitze unserer Notenbank. Wahrscheinlich handelt es sich sogar um eine Fehlbesetzung.

Folgende acht Punkte sprechen persönlich und währungspolitisch gegen die Juristin Lagarde, die einst als Finanzministerin in Frankreich gedient hatte:

Spannend, aber gerade keine Zeit?

1. Interview im Modemagazin wichtiger als währungspolitische Konferenz

Das Persönliche zuerst. Ohne Angabe von Gründen reiste sie nicht zur wichtigsten währungspolitischen Konferenz der Welt nach Jackson Hole, die am Samstag zu Ende ging. Das kommt einer Arbeitsverweigerung gleich. Stattdessen wurde in Frankreich ein Interview mit dem Modemagazin Madame Figaro veröffentlicht, wo sie, so spottet das Handelsblatt, “über ihre Lieblingsthemen, etwa die Rolle von Frauen in Führungspositionen, den Klimawandel und die Rolle der Notenbanken bei seiner Bekämpfung spricht.” Markus Fugmann, Kommentator der Finanzmarktwelt: Die EZB hat offenkundig ein Führungsproblem.

2. Falsche Prognosen der Inflation

Bis heute kann Lagarde nicht schlüssig erklären, weshalb sie und ihre dafür zuständigen Direktoriumsmitglieder die Inflation ein ums andere Mal falsch prognostizierten und nach diesen falschen Prognosen ihre Zinspolitik ausgerichtet haben. Personelle Konsequenzen wurden in Frankfurt keine gezogen, was umso überraschender ist, da die Inflationsbekämpfung den Kern vom Kern des EZB-Auftrages darstellt. Zwei Prozent waren versprochen; derzeit sind es in Deutschland 7,5 Prozent. Das Reißen der Zehn-Prozent-Marke gilt als wahrscheinlich, sagt auch Bundesbank-Präsident Joachim Nagel.

3. Das Euro-Problem

Der Euro fällt immer weiter hinter den Dollar zurück. In der vergangenen Woche war ein Euro zwischenzeitlich weniger wert als ein US-Dollar – der tiefste Stand seit 20 Jahren. Ein Ende des Euro-Verfalls ist nicht in Sicht. Robin Winkler, Währungsstratege bei der Deutschen Bank Research, sagt im Investment-Briefing : "Ich denke, das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. “

4. Keine Strategie, nur Taktiken

 Der Euro-Verfall folgt keiner Laune der Finanzmärkte, sondern ist Ausdruck einer fundamentalen Schwäche des Euros. Im ersten Quartal 2022 wurden mehr als 50 Prozent der weltweiten Devisentransaktionen in Dollar abgewickelt. Der Euro liegt mit gerade einmal 18 Prozent auf Platz zwei. Christine Lagarde hat die Vision einer europäischen Währung, die gleichauf mit der amerikanischen performt, nie zu der ihren gemacht. Sie ist im Herzen eine Politikerin, keine Notenbank-Gouverneurin. Sie besitzt keine Strategie, nur viele kleine Taktiken.

5. Entschlossenheit fehlt

Die US-Währung wird durch die Notenbankpolitik der FED gestärkt. In den USA hat man sich – auch auf Geheiß des Weißen Hauses – entschlossen, die Inflation konsequent zu bekämpfen. FED-Chef Jerome Powell zeigte sich in Jackson Hole sogar willig, die Geldentwertung in Gänze zu beenden. Er sagte: Wir werden dranbleiben, bis die Arbeit erledigt ist. “

Das bedeutet, dass die FED auch eine schwächere Konjunktur und höhere Arbeitslosenzahlen in Kauf nimmt. Man werde die Inflation nicht besiegen, ohne den Firmen und den Verbrauchern Schmerzen zuzufügen – „pain to households and business.“ Eine ähnliche Entschlossenheit fehlt in Frankfurt – auch, weil sie in Berlin, Paris und Rom fehlt.

6. Inflationsbekämpfung nicht ihr dringlichstes Ziel

Die Geldflutung der vergangenen Dekade wird in Washington entschlossen rückabgewickelt. Zum Vergleich: Die von der EZB aufgekauften Anleihen stehen für 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone. Die Bilanzsumme der EZB wurde kaum reduziert und liegt immer noch bei 8,75 Billionen Euro. Die Bilanzsumme der FED bewegt sich mit 8,85 Billionen US-Dollar zwar in ähnlichen Größenordnungen.

Allerdings stehen die von der US-Notenbank gekauften Anleihen nur für 35 Prozent des dortigen Bruttoinlandsprodukts. Und die amerikanische Notenbank kündigte an, in den kommenden zwölf Monaten Staatsanleihen für über eine Billion Dollar zu verkaufen. Christine Lagarde betrachtet die Inflationsbekämpfung als eines, aber nicht ihr dringlichstes Ziel. Sie will als grüne Notenbank-Chefin in die Geschichte eingehen, nicht als Stabilitätspolitikerin.

7. Fehlende volkswirtschaftliche Ausbildung

Christine Lagarde ist die erste Persönlichkeit an der Spitze der Notenbank, die keine volkswirtschaftliche Ausbildung besitzt. Die Juristin legte von Anfang an Wert darauf, nicht in die klassischen Lager der geldpolitischen Falken oder Tauben eingeordnet zu werden. Sie wolle eine Eule sein, sagte sie zum Amtsantritt. Die Eule – so meinte sie diesen Vergleich – steht für Weisheit.

8. Kritik nicht erwünscht

Die EZB-Präsidentin hasst Kritik. Ihren hauseigenen Kritikern versucht Christine Lagarde mit einem internen „Maulkorb“ beizukommen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, die sich dabei auf vier Informanten aus dem Führungskreis der EZB beruft, dürfen die Kritiker von jedwedem geldpolitischen Beschluss diese Kritik nicht mehr unmittelbar nach der Beschlussfassung öffentlich artikulieren. Es sei demnach unerwünscht, innerhalb der ersten Tage nach einem EZB-Direktoriumsbeschluss Kritik zu üben oder auch nur Details der Debatte zu benennen.

Fazit: In Europa können sich die Staaten derzeit auf Kosten der Sparer sanieren. Christine Lagarde fehlt erkennbar der Wille, diese inflationierte Wirklichkeit, die sie mit erschaffen hat, ins Solide zu verändern. Wahrscheinlich wird man später über sie sagen: Sie war klug, ehrgeizig und politisch effizient. Aber sie war die falsche Frau zur falschen Zeit am falschen Platz.

Zur Person

Gabor Steingart zählt zu den bekanntesten Journalisten des Landes. Er gibt den Newsletter „The Pioneer Briefing“ heraus. Der gleichnamige Podcast ist Deutschlands führender Daily Podcast für Politik und Wirtschaft. Seit Mai 2020 arbeitet Steingart mit seiner Redaktion auf dem Schiff "The Pioneer One". Vor der Gründung von Media Pioneer war Steingart unter anderem Vorsitzender der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group. Seinen kostenlosen Newsletter können Sie hier abonnieren.

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