Vorsteuerabzug wenn leistung noch nicht erbracht

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UStAE 2010 15.3. (Zu § 15 UStG (§§ 35 bis 43 UStDV))

Zu § 15 UStG (§§ 35 bis 43 UStDV)

15.3. Vorsteuerabzug bei Zahlungen vor Empfang der Leistung

(1) 1Der vorgezogene Vorsteuerabzug setzt in den Fällen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG bei Zahlungen vor Empfang der Leistung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG) voraus, dass

  1. eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung vorliegt und

  2. die Zahlung geleistet worden ist.

2Der Vorsteuerabzug kommt für den Voranmeldungs- bzw. Besteuerungszeitraum in Betracht, in dem erstmalig beide Voraussetzungen erfüllt sind. 3Voraussetzung für den Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Lieferungen, auf die eine Anzahlung geleistet wurde, ist, dass alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d. h. der künftigen Lieferung, bereits bekannt und somit insbesondere die Gegenstände der Lieferung zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sind (vgl. BFH-Urteil vom 24. 8. 2006, V R 16/05, BStBl 2007 II S. 340, vgl. Abschnitt 14.8 Abs. 4 Satz 2).

(2) Hat ein Kleinunternehmer, der von der Sonderregelung des § 19 Abs. 1 UStG zur allgemeinen Besteuerung übergegangen ist, bereits vor dem Übergang Zahlungen für einen nach dem Übergang an ihn bewirkten Umsatz geleistet, kann er den vorgezogenen Vorsteuerabzug in der Voranmeldung für den ersten Voranmeldungszeitraum nach dem Übergang zur allgemeinen Besteuerung geltend machen.

(3) Für den vorgezogenen Vorsteuerabzug ist es ohne Bedeutung, ob die vor Ausführung des Umsatzes geleistete Zahlung das volle Entgelt oder nur einen Teil des Entgelts einschließt.

(4) 1Ist der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag höher als die Steuer, die auf die Zahlung vor der Umsatzausführung entfällt, kann vorweg nur der Steuerbetrag abgezogen werden, der in der im Voraus geleisteten Zahlung enthalten ist. 2Das gilt auch, wenn vor der Ausführung des Umsatzes über die gesamte Leistung abgerechnet wird, die Gegenleistung aber in Teilbeträgen gezahlt wird. 3In diesen Fällen hat daher der Unternehmer den insgesamt ausgewiesenen Steuerbetrag auf die einzelnen Teilbeträge aufzuteilen.

Beispiel:

1Der Unternehmer hat bereits im Januar eine Gesamtrechnung für einen im Juli zu liefernden Gegenstand über 100 000 € zuzüglich gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer in Höhe von 19 000 €, insgesamt 119 000 €, erhalten. 2Er leistet in den Monaten März, April und Mai Anzahlungen von jeweils 23 800 €. 3Die Restzahlung in Höhe von 47 600 € überweist er einen Monat nach Empfang der Leistung.

4Der Unternehmer kann für die Voranmeldungszeiträume März, April und Mai den in der jeweiligen Anzahlung enthaltenen Steuerbetrag von 3 800 € als Vorsteuer abziehen. 5Die in der Restzahlung von 47 600 € enthaltene Vorsteuer von 7 600 € kann für den Voranmeldungszeitraum Juli (zum Zeitpunkt der Umsatzausführung) abgezogen werden.

(5) 1Aus einer Endrechnung (§ 14 Abs. 5 Satz 2 UStG) kann der Leistungsempfänger nur den Steuerbetrag als Vorsteuer abziehen, der auf die verbliebene Restzahlung entfällt. 2Das Gleiche gilt bei der Abrechnung mit Gutschriften. 3Ein höherer Vorsteuerabzug ist auch dann nicht zulässig, wenn in der Endrechnung die im Voraus gezahlten Teilentgelte und die darauf entfallenden Steuerbeträge nicht oder nicht vollständig abgesetzt wurden (vgl. Abschnitt 14.8 Abs. 10). 4Sind die Rechnungen oder Gutschriften für die im Voraus geleisteten Zahlungen im Zusammenhang mit der Erteilung der Endrechnung widerrufen oder zurückgenommen worden, ist aus der Endrechnung ebenfalls nur der auf die Restzahlung entfallende Steuerbetrag als Vorsteuer abziehbar (vgl. Abschnitt 14.8 Abs. 9).

(6) Für Anzahlungen, bei denen erst im Zeitpunkt der Leistungserbringung der Leistungsempfänger die Voraussetzungen als Steuerschuldner nach Maßgabe des § 13b UStG erfüllt, vgl. Abschnitt 13b.12 Abs. 3 Sätze 3 und 4.

Der Vorsteueranspruch eines Leistungsempfängers entsteht nach bisherigem Dafürhalten bereits mit der Ausführung der Leistung und nicht erst mit der Entrichtung des Entgelts – vorausgesetzt natürlich, es liegt eine ordnungsgemäße Rechnung vor. Unerheblich ist, ob der Leistende Soll- oder Ist-Versteuerer ist.

Doch mit dieser Auffassung könnte bald Schluss sein, denn der EuGH hat in einem wegweisenden Urteil entschieden, dass die deutsche Regelung gegen EU-Recht verstößt. Art. 167 MwStSystRL sei dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug bereits im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer erst bei Vereinnahmung des Entgelts entsteht und dieses noch nicht gezahlt worden ist. In Kurzform: Bein Leistungsbezug von Ist-Versteuern darf die Vorsteuer erst bei Zahlung abgezogen werden (EuGH-Urteil vom 10.2.2022, C-9/20, NWB XAAAI-04021).

Zum Hintergrund:

Art. 167 MwStSysRL sieht vor, dass der Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers erst entsteht, wenn auch der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Ausnahmen für Leistungen von Ist-Versteuerern sind nicht vorgesehen. Nach deutschem Verständnis hingegen zieht der Leistungsempfänger die Vorsteuer auch dann bereits bei Ausführung der Leistung ab, wenn er diese – zum Beispiel aufgrund einer Stundung – noch nicht bezahlt hat, während der leistende Ist-Versteuerer die entsprechende Steuer noch nicht schuldet. Die Frage der Ist-Versteuerung von Anzahlungen soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden (siehe dazu Abschnitt 13.5 UStAE).

Die Fälle, in denen Leistungsausführungen und Zahlungen zeitlich zum Teil weit auseinanderliegen, treten gerade in der Corona-Pandemie recht häufig auf, etwa bei der Stundung von Miete oder Pacht für Gewerberäume. Ob die deutsche Regelung gegen Unionsrecht verstößt, musste der EuGH aufgrund eines Vorabersuchens des FG Hamburg klären (FG Hamburg, Vorlagebeschluss vom 10.12.2019, 1 K 337/17, NWB YAAAH-40177).

Da für den Steuerpflichtigen günstige Regelungen normalerweise nicht zu Klageverfahren führen und demzufolge auch keine Vorlagen an den EuGH auslösen, bedurfte es einer besonderen Konstellation. Diese war im Streitfall gegeben: Die Klägerin ist eine zur Umsatzsteuer optierende Vermietungsgesellschaft, die ein ihrerseits gemietetes Grundstück weitervermietete. Beiden Vertragsparteien war gestattet, die Steuer nach vereinnahmten Entgelten zu berechnen. Die Mietzahlungen wurden der Klägerin teilweise gestundet, die Vorsteueransprüche machte sie immer erst geltend, wenn die Zahlung erfolgte. Diese Verfahrensweise wurde nach einer Außenprüfung beanstandet und die Vorsteuer nunmehr bereits im Zeitraum der Ausführung des Umsatzes – monatsweise Mietüberlassung – berücksichtigt. Infolge zwischenzeitlich eingetretener Verjährung konnte die Vorsteuer in den Änderungsbescheiden für vergangene Jahre aber teilweise nicht mehr berücksichtigt werden. Hiergegen richtete sich die auf den Unionsrechtsverstoß gestützte Klage.

Die Entscheidung des EuGH:

Der Wortlaut von Art. 167 MwStSystRL ist klar und unzweideutig. Er stellt die allgemeine Regel auf, dass das Recht des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch gegen den Lieferer oder Dienstleistungserbringer auf die entsprechende abziehbare Steuer entsteht. Was den Zusammenhang der Vorschrift angeht, ist festzustellen, dass nach Art. 63 MwStSystRL Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt eintreten, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Nach Art. 66 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL können die Mitgliedstaaten zwar abweichend von dieser Vorschrift vorsehen, dass der Steueranspruch für bestimmte Umsätze oder Gruppen von Steuerpflichtigen spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entsteht (“Ist-Versteuerung”). Allerdings stehen die Vorschriften des Art. 66 Abs. 1 Buchst. b und des Art. 167 MwStSystRL miteinander im Einklang. Das heißt: In den Fällen, in denen der Steueranspruch spätestens bei der Vereinnahmung des Preises entsteht, muss auch das Recht auf Vorsteuerabzug zum Zeitpunkt der Vereinnahmung des Preises entstehen.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vorbringen der deutschen Regierung, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug zu dem Zeitpunkt entstehe, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht werde, und zwar unabhängig davon, dass der Steueranspruch für bestimmte Steuerpflichtige bei der Vereinnahmung des Preises entstehe. Wenn der Unionsgesetzgeber ein solches Ergebnis gewollt hätte, hätte er dies so – und nicht wie derzeit in den genannten Vorschriften ausgeführt – geregelt.

Praxishinweise:

Leistungsempfänger müssen zunächst nicht beunruhigt sein, da sie sich bis auf Weiteres auf die deutsche Regelung berufen können (siehe Abschnitt 15.2 UStAE). Allerdings wird der Gesetz- oder Richtliniengeber wohl früher oder später handeln und die deutsche Auffassung an das Unionsrecht anpassen müssen. Das bedeutet aber neben einem eventuell späteren Vorsteuerabzug für den Leistungsempfänger, dass der Leistende diesem künftig mitteilen muss, ob er selbst Soll- oder Ist-Versteuerer ist. Denn beim Leistungsbezug von Soll-Versteuerern bliebe es auch bei einer unionskonformen Auslegung dabei, dass der Vorsteueranspruch mit Leistungsausführung entsteht – eine ordnungsgemäße Rechnung natürlich immer vorausgesetzt. Ob der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer seinerseits nach vereinnahmten oder vereinbarten Entgelten berechnet, ist unerheblich.

Positiv ist die EuGH-Entscheidung in Sachverhalten wie im Streitfall, also bei einer aus deutscher Sicht verspäteten Geltendmachung des Vorsteueranspruchs. Falls die Steuerfestsetzungen für den Zeitraum des Leistungsempfangs nicht mehr änderbar sind, so können sich betroffene Unternehmer nun unmittelbar auf das Unionsrecht, also das aktuelle EuGH-Urteil, berufen.

Der EuGH hat sich in jüngster Zeit nun zweimal mit der Frage des Besteuerungs- bzw. des Vorsteuerabzugszeitraums befasst. Das EuGH-Urteil vom 28.10.2021 (C-324/20) lautete: Bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten entsteht die Umsatzsteuer in voller Höhe bereits mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Das gilt unabhängig davon, ob die für diesen Umsatz geschuldete Gegenleistung bereits entrichtet worden ist. Daher schuldet der Leistende dem Finanzamt den vollen Umsatzsteuerbetrag auch dann sofort, wenn er mit dem Leistungsempfänger eine Ratenzahlung vereinbart hat:

Insgesamt scheint sich damit eine Tendenz abzuzeichnen, dass sich der EuGH zunehmend am reinen Wortlaut der MwStSystRL orientiert und die Grenzen für Ausnahmen enger setzt.

Wann entfällt der Vorsteuerabzug?

Vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind des Weiteren: steuerfreie Umsätze, Umsätze im Ausland, die steuerfrei wären, wenn sie im Inland ausgeführt würden, unentgeltliche Lieferungen und sonstige Leistungen, die steuerfrei wären, wenn sie gegen Entgelt ausgeführt würden.

Wann Vorsteuerabzug Rechnungsdatum oder Leistungsdatum?

Vorsteuer. Bei Eingangsrechnungen wird die Vorsteuer grundsätzlich zum Rechnungsdatum kalkuliert, da erst mit Vorliegen einer gültigen Rechnung Vorsteuer in Abzug gebracht werden darf.

Wann berechtigt eine Rechnung zum Vorsteuerabzug?

Vorsteuer darf ein Unternehmer abziehen, sobald die Leistung erfolgt ist und er eine Rechnung mit ausgewiesener Umsatzsteuer erhalten hat. Der Zeitpunkt der Bezahlung spielt dabei keine Rolle. Eine Ausnahme gilt allerdings bei Anzahlungen: Hier wird die Vorsteuer abgezogen, sobald die Zahlung geleistet wurde.

Wann Vorsteuerabzug bei Vorkasse?

Vorsteuerabzug bei Anzahlungen Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar. Dies gilt nur dann, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist.