War der schiefe Turm von Pisa schon immer schief?

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Gut gemeinte Versuche, den Schiefen Turm von Pisa zu stabilisieren, hatte es schon viele gegeben: 1839 pumpte man Wasser aus dem Boden, der dem Bauwerk zu wenig Halt gab, 1934 wurden die Grundmauern isoliert - jedes Mal stand das Wahrzeichen der Stadt am Ende schiefer da als zuvor. Als 1982 die ersten Befürchtungen aufkamen, dass der Turm sich jetzt langsam wirklich seinem Ende zuneigen würde, taten die örtlichen Behörden und die italienische Regierung erst einmal: nichts.

Schließlich hatte der berühmte Campanile in seiner schrägen Haltung Jahrhunderte überdauert. 1987 zeigten moderne Messgeräte allerdings an: Der Turm hatte sich in den fünf Jahren zuvor immer weiter geneigt - und dabei um die eigene Achse gedreht.

Pfusch am Bau

Knapp 800 Jahre vorher, am 9. August 1173, war der Grundstein für den Glockenturm des Doms zu Pisa gelegt worden. Doch als das dritte Stockwerk fertig war, begann das neue Gebäude im weichen Untergrund zu kippen. Baumeister Bonanno Pisano hatte nicht bedacht, dass das tonnenschwere Bauwerk auf einem zugeschütteten Kanal stand. Eilig ließ er die Arbeiten stoppen. Erst 100 Jahre später wagte sich ein anderer an den schiefen Glockenturm. Der Architekt Giovanni di Simone ließ die restlichen Stockwerke aufbauen und korrigierte dabei die Neigung. Der Schiefe Turm von Pisa wurde krumm. Erst 200 Jahre nach Baubeginn wurde das rund 55 Meter hohe Monument endlich fertig.

Noch ein paar hundert Jahre später, im Jahr 1987, befürchteten die Pisaner schließlich das Ende ihres Wahrzeichens. Ungebetene Hilfe kam aus einer während des Kalten Krieges eher unerwarteten Richtung: Sowjetische Spezialisten boten an, den schiefen Turm wieder gerade zu rücken. Giacomo Granchi, Bürgermeister von Pisa und damit auch Bewahrer des jahrhundertealten Touristenmagnets, war entsetzt: Gerade rücken! Das kam auf keinen Fall infrage. Aber irgendetwas musste passieren.

Japanische Experten schlugen vor, das Bauwerk über Seile mit einem zweiten Turm zu verbinden, der sich in die andere Richtung neigt. Amerikaner wollten Zement in den weichen Boden spritzen, um dem Turm Halt zu geben. Oder ihn einfach an Heißluftballons aufhängen. Deutsche Ingenieure planten dagegen einen gigantischen Kran, der den Campanile festhalten sollte. Am schönsten hätte sicherlich der Vorschlag von Denkmalschützern aus Florenz ausgesehen: Eine zwölf Meter hohe Zementstatue des Schutzpatrons von Pisa, San Ranieri, sollte mit einem Schwert in der Hand den Turm abstützen.

Katastrophe in Pavia

Doch konnten sich die Pisaner nicht entschließen, welche Rettungsmaßnahme sie durchführen sollten. Eine falsche Entscheidung, so befürchtete man, könnte das empfindliche Gebilde zu Fall bringen. Dann brach 1989 in der Stadtverwaltung von Pisa ein Tumult aus: Der italienische Bauminister Giovanni Prandini in Rom hatte vorgeschlagen, den Zugang zum Campanile zu sperren, bis eine dauerhafte Lösung das Bauwerk stabilisieren könnte. Immerhin hatte sich im März eine Katastrophe ereignet: In Pavia war ein ähnlich gebauter Turm unvermittelt eingestürzt und hatte mehrere Menschen getötet. Empört wiesen die Pisaner Prandini ab: Schließlich hatte sich ihr Turm 1989 nur um 0,6 Millimeter geneigt, statt der durchschnittlichen 1,27 Millimeter pro Jahr.

Man kann sich gut vorstellen, wie Bürgermeister Giacomo Granchi und der Rest der Pisaner die Fäuste Richtung Rom schüttelten, während Minister Prandini versuchte, seine Forderung im fernen Pisa durchzudrücken: Der Turm muss dringend stabilisiert werden, sonst fällt er um! Dem Turm geht es gut, der bleibt wie er ist!

Der Politiker in Rom setzte sich durch: Am 7. Januar 1990 wurde das Wahrzeichen Pisas gegen den erbitterten Widerstand der Pisaner Lokalpolitiker, Geschäftsleute und Fremdenführer gesperrt. 800.000 Touristen pro Jahr sollten fortan ausschließlich vom Boden ihre Schnappschüsse machen können und nicht mehr die 294 Stufen emportrampeln. 20 Millionen Mark hatte der Touristenmagnet bis dahin eingebracht, seit in den Fünfzigerjahren erstmals Eintrittsgeld verlangt wurde.

Kaum versprochen, schon gebrochen

Schon drei Monate nach seiner Schließung, versprach der Bürgermeister, sollte der Turm wieder freigegeben werden. Das gleiche Versprechen folgte im November 1993, nachdem der Campanile mit Stahlseilen und 830 Tonnen Bleigewichten gesichert worden war. 1995 hieß es zum dritten Mal, er werde geöffnet, nachdem die Gewichte durch unterirdische Verankerungen ersetzt worden wären.

Während das Wahrzeichen trotz aller Versprechungen geschlossen blieb, erschütterten immer wieder Schreckensmeldungen die Pisaner, während ihr Turm unbeeindruckt weiterhin schief stand. Im Oktober 1995 schwankte das Monument bei einem Erdbeben zwar etwas, verharrte aber wie durch ein Wunder in seiner alten Neigung. Im gleichen Jahr wurde bekannt, dass die Mafia geplant hatte, das weltbekannte Bauwerk bei einem Attentat zu sprengen. Mitte der Neunzigerjahre entdeckte man schließlich auch noch Risse im Marmor.

Neben den Hiobsbotschaften und den wiederholten Ankündigungen, der Turm werde bald wieder geöffnet, spekulierten die Medien jahrelang, wie das weltbekannte Kulturdenkmal endlich gerettet werden könnte. Ingenieure, Wissenschaftler und Bildhauer aus der ganzen Welt reichten weitere Vorschläge ein.

Nüchterne Lösung

Die eigentliche Rettung war schließlich weniger spektakulär als Heißluftballons oder gigantische Statuen. Die Überlegung lautete: Wenn sich der rund 14.200 Tonnen schwere Turm in Richtung Süden neigt, dann müsste man einfach nur auf der entgegengesetzten Seite etwas Erde wegbuddeln und das Gebäude ein Stück nach Norden ziehen. Zwei Jahre lang trugen Bauarbeiter aus zwölf Bohrlöchern tonnenweise Erde ab, gleichzeitig zogen riesige Gewichte den Turm gen Norden. Seine Neigung verringerte sich um 44 Zentimeter von 5,5 auf 3,97 Grad.

Im Juni 2001 sollte es dann endlich so weit sein, am 15. Dezember 2001 war es tatsächlich so weit: Das Wahrzeichen Pisas öffnete wieder seine Tür, Touristen quälten sich erneut die abgenutzten Stufen empor, blickten hinab auf den Platz der Wunder, auf dem sich wiederum andere Touristen verrenkten, um so zu tun, als würden sie den Schiefen Turm stützen. Festgehalten wird er aber in Wirklichkeit durch die Gewichte im Boden. Und damit, so schätzen Experten, können auch in 300 Jahren noch Touristen auf dem Schiefen Turm von Pisa herumturnen.

Er ist vielleicht der berühmteste schiefe Turm, aber sicher nicht der einzige. einestages präsentiert einige der schiefsten, schrägsten und absurdesten Türme der Welt.