Was bedeuten impulsive pinselführungen

Adolf Stäbli (1842–1901) gehört zu den wichtigsten Vertretern der spätromantischen Landschaftsmalerei in der Schweizer Kunst. Aus Brugg im Kanton Aargau stammend, lässt er sich nach seinen Lehr- und Wanderjahren, die ihn nach Zürich, Dresden, Mailand und Paris führen, in den 1860er-Jahren in München nieder. Dort ist er unter allen in der Stadt wirkenden Schweizer Malern jene Persönlichkeit, die sich am deutlichsten einem malerischen Expressionismus zuwendet. Da Stäbli ein unmittelbares Bild des Natureindrucks anstrebt, verzichtet er weitgehend auf die idealisierten Landschaften seiner Zeitgenossen und auf die von der Münchner Schule bevorzugten pittoresken Sujets. Stattdessen orientiert er sich immer mehr an den in Frankreich beliebten atmosphärischen Stimmungsbildern und besonders am Paysage intime, wie es die Schule von Barbizon prägte. Ihre Werke zeichnen sich durch unspektakuläre Motive aus, in denen nichts von der elementaren Bedeutung des Lichts und der Farbe ablenkt. Stäbli übernimmt die Schlichtheit sowie Intimität der französischen Pleinairisten und verbindet sie mit dem Naturalismus der Schweizer Schule Gottfried Steffans (1815–1905). Ab 1876 spezialisiert sich Stäbli auf emotional aufgeladene Landschaftsdarstellungen, welche die zerstörerische Gewalt der Natur zum Thema haben. Mit Vorliebe malt er vom Wind gepeitschte Bäume, Gewitterstimmungen, Stürme und Überschwemmungen, die er ins Pathetische steigert. Für seine monumentalen Werke mit markanten Baumsilhouetten und seine Wolkenstudien orientiert sich der Künstler auch an holländischen Meistern des 17. Jahrhunderts.

Unter den spätesten Arbeiten Stäblis gibt es einige gestisch gemalte, unvollendet belassene Werke, die ihn zu einem der namhaften Vorläufer des deutschen Expressionismus machen. Ein solches Gemälde ist die "Birkenlandschaft" aus dem Aargauer Kunsthaus. Trotz des unfertigen Zustands ist dieses um 1900 entstandene Gemälde des schwerkranken Malers ein in sich abgeschlossenes Werk und gibt Einblick in die Schaffensweise der letzten Jahre. Auffällig ist das für die damalige Landschaftsmalerei ungewohnt grosse Format des Gemäldes. Diese monumentale Fassung des vertrauten Birkenmotivs – in den 1890er -Jahren fertigt er viele Versionen mit der zierlichen Birke (vgl. "Sommermorgen", Inv.-Nr. 442) – bezeugt die in der reifen Periode entwickelten Stileigenheiten: Die impulsive Pinselführung und summarische Behandlung der Einzelheiten ermöglichen es Stäbli, im Kleinen streng durchkomponierte Motive ins Grossformat zu übertragen.

Die Farbe wird in breiten, oft lang gezogenen Pinselstrichen, in hastigen, skripturalen Schw�ngen oder mit dem Spachtel dick geschichtet auf den Bildtr�ger aufgebracht. Sie ist stets auch in ihrer materialen Qualit�t pr�sent und immer kann der Vorgang der Malerei genau nachempfunden werden. Die Farbe entfaltet ihre Kraft in sensiblen Variationen des Farbtons und seiner Nachbarschaften oder in starken Kontrasten. Unterschiedliche Bewegungen im Farbauftrag erzeugen  r�umliche Vibrationen und Unsch�rfen. Eine Komposition gibt es nicht, doch eine feste, organisierte Struktur wird wie textiles Gewebe geflochten. Farbe und Linie steigern sich im wechselseitigen Zusammenklang.

Patricia Hell malt Bilder.

Dies klingt banal, verwundert aber in Anbetracht der Gem�lde. Die Titel der Bilder benennen die Motive, deren Abbild nicht erkennbar ist. Aber gerade die vom Gegenstand losgel�ste Malerei l�sst auf ihre Weise eine g�ltige Darstellung der realen Welt zu. Die Illusion des Lichts wird von der Gegenwart der Farbe verdr�ngt. Die k�nstlerischen Mittel sind autonom. Das Fehlen jeglicher ikonischer und narrativer  Elemente  l�sst in gleichsam lyrischer Leichtigkeit  metaphorische Bilder entstehen und m�ndet in unmittelbarer syn�sthetischer Erfahrbarkeit. Die Farbwirkungen werden zum visuellen Erlebnis, genauso wie die rauen Oberfl�chen der Farbkrusten sp�rbar sind.

Die Atmosph�re des Ateliers ist gegenw�rtig und der Geruch von Farbe, Lein�l und Terpentin dr�ngt sich auf. So entsteht wunderbar vielschichtige Malerei,  und das nicht nur im w�rtlichen Sinn.

Patricia Hell stellt durch die Bildtitel kunstgeschichtliche Bez�ge her: �Nach van Goghs `S�mann�“ zitiert zumindest die Farbigkeit des Vorbilds; die Reihe  �Aus Monets Garten“ ist, bis auf die Tatsache, dass es sich um eine Reihe handelt, nicht mehr bildm��ig in ihrem impressionistischen Bezug nachzuempfinden. Schlie�lich erm�glicht der Verzicht auf jede mimetische Andeutung die Erschlie�ung von atmosph�rischen Eindr�cken, die �ber die Motivik der Impressionisten hinausgeht: Die Bilder �Rosenflug“ und �Lichtrauschen“ zum Beispiel schaffen Atmosph�ren, die �ber die sichtbaren physikalischen Ph�nomene  hinaus imagin�re R�ume erschlie�en. Die gegen�ber dem Impressionismus gesteigerte, impulsive Gestik der Pinself�hrung k�nnte als Ankl�nge an den Tachismus  oder den abstrakten Expressionismus aufgefasst werden, jedoch fehlt Patricia Hells Bildern der sich selbst gen�gende Habitus. Der Farbauftrag f�gt sich bei aller Freiheit pr�zise in die Struktur des Bildorganismus. Der Duktus variiert den Bildthemen entsprechend und wird zum unverzichtbaren, intellektuellen Bestandteil der k�nstlerischen Intention.

“Resampling ist Schreiben von Bildern“. Schrift und Sprache sind abstrakte, symbolhafte Medien eines Kommunikationsprozesses, in dem der Verlust oder die St�rung von Information als �Rauschen“ bezeichnet wird. So zeigen Patricia Hells Bilder in mehrfacher Weise den prozesshaften Charakter von Kunstwerken, die oft lediglich als Objekte gesehen werden. Nicht nur das Schaffen, auch das Wirken ist ein aktiver Vorgang, der Zeit und Arbeit erfordert. Diese Leistung muss der Betrachter erbringen, um im besten Fall zu erreichen, was Schiller den ��sthetischen Zustand“ nennt: Jenes euphorische Erlebnis der Erkenntnis, die �ber das rationale Erfassen des Gegenstandes hinausgeht. F�r den Betrachter kann dabei �Rauschen“ Chance und Gewinn bedeuten.

Fazit:

Gerade durch die R�ckschau auf vorangegangene Kunst ist Patricia Hells Malerei als innovatives und authentisches Ausdrucksmittel von unmittelbaren, subjektiven Sinneseindr�cken eine eminent zeitgen�ssische Stellungnahme, die der bildhaften Malerei einen �berzeugenden und eigenst�ndigen Beitrag hinzuf�gt und entgegenh�lt.

Karl Wilhelm Ducoffre ( Er�ffnungsrede zur Ausstellung “resamplet”, in der Galerie Palais Walderdorff in Trier, 2007 )