Wer ist babsy landnahme

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Er ist ein Kritiker der DDR gewesen und ist ein Kritiker im vereinigten Deutschland, der Schriftsteller Christoph Hein. Der Sechzigjährige wurde in Schlesien geboren und kam nach dem Kriege mit seiner Familie in die Nähe von Leipzig. Spuren dieser Erfahrung, des Wohnortwechsels, der Umsiedlung finden sich In seinem Roman "Landnahme", der zum Bühnenstück bearbeitet wurde.

Hein greift das Thema Umsiedlung und Ausgrenzung auf, erzählt fünfzig Jahr deutscher Geschichte: Zwangskollektivierung, Mauerbau und Wende. Jetzt wurde "Landnahme" am Staatsschauspiel Dresden durch Anna Badoral inszeniert.

Bernhard Haber sucht seinen Platz in der neuen Heimat, - er möchte dazu gehören. Als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus Breslau in die fiktive sächsische Kleinstadt Guldenberg vertrieben, wird er dort als Polack beschimpft. Die Vertriebenen werden von den hier schon immer lebenden "richtigen Deutschen" als "keine von uns" voller Vorurteile abgelehnt.

Christoph Hein erzählt in seinem Roman "Landnahme" eine Geschichte von Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit, aber auch von Anpassung und Aufstieg. Bernhards Lebenskampf und Landnahme wird nacheinander aus der Perspektive von fünf Ich-Erzählern in immer der gleichen nüchternen Sprache recht linear, ja, fast didaktisch nacherzählt. Wir erfahren von Bernhards schwerer Kindheit in Schule und Alltag, von Liebesbeziehungen und der Teilnahme an Zwangskollektivierungen, dann von seiner Tätigkeit als gut verdienender Schlepper für Republikflüchtlinge.

Schließlich heiratet Bernhard und macht sich, nachdem die Werkstatt seines Vaters abgebrannt und dieser angeblich Selbstmord begangen, in Wirklichkeit aber ermordet wurde, als Tischler selbständig. Nach dem Mauerfall gehört er endlich als erfolgreicher Geschäftsmann zu den Guldenbergern dazu: was ihm und was seinem Vater widerfuhr, muß er dafür allerdings verdrängen. Und daß sich nun sein eigener Sohn fremdenfeindlich gegen sogenannte Fidschis betätigt, muß er hinnehmen, will er angekommen sein.

Auf der Bühne des Dresdner Staatsschauspiels ist eine Spielzeugstadt aufgebaut: mit Puppenstuben-Häusern verdeutlicht Bühnenbildner Florian Etti sehr schön das kleinbürgerlich Scheinidyllische von Christoph Heins fiktivem Städtchen. Dessen Bewohner, die aus dem Zuschauerraum, also aus unserer Mitte, in diese Stadt treten, erhalten auf der klar ausgeleuchteten Bühne von Anfang an deutliches Profil. Jede Figur ist in Haltung und Bedeutung so eindeutig gezeichnet, daß sie sich dem Klischee nähert. Das ist gelegentlich durchaus witzig, so, wenn die kesse Babsy auf dem Motorroller in die Kleinstadt kommt:

Regisseurin Anna Badora, die Düsseldorfer Intendantin, die an ihrem Haus bereits Christoph Heins Sauerbruch-Drama "Bruch" inszenierte, hat mit der von der Berliner Volksbühne kommenden, neuen Dresdner Chefdramaturgin Andrea Koschwitz Heins Roman nicht in eine szenische Form gebracht, sondern sie läßt ihn ganz direkt nacherzählen. Heins fünf Erzähler treten nacheinander auf, wenden sich ans Publikum, sagen an, was passiert, und dann stellen sich die Figuren des Romans in eben der Szene auf, die angekündigt wurde.

Diese verdoppelnde Verdeutlichung einer Romanvorlage, die ohnehin von Überdeutlichkeit bestimmt wird, läßt Badoras Inszenierung langatmig und langweilig wirken. Es gibt keine Brüche, keine Blenden, keine Sprünge, sondern nur brechtianische Moralität und Eindeutigkeit. Da mag das Dresdner Ensemble mit solidem Spiel noch so überzeugen: diese Bühnenversion von Heins Roman ergibt nicht Theater, sondern ein Hörspiel auf großer Bühne. Auch, weil keinerlei szenisch gestaltete Konflikte für Spannung sorgen, sondern weil der nacherzählende Roman auf der Bühne nur wiederum von Erzählern nacherzählt wird. Von Darstellern, die weniger spielen als vortragen. Es mag beabsichtigt gewesen sein, Menschen im bewegten erinnernden Gespräch zu zeigen. Leider aber sieht man Schauspieler, die uns unentwegt mit bewegter Mimik etwas erklären.

Diese Art von Theaterdidaktik, die auf das bestätigende Kopfnicken des Zuschauers setzt, läßt diesem keine Freiräume für die eigene Phantasie oder für Assoziationen. Auch, weil, anders als im Roman, dessen Spannung schaffender Kunstgriff darin besteht, daß Bernhard Haber als Figur nicht selbst auftritt und erst durch die Beschreibungen von Erzählern in der Phantasie des Lesers Kontur erhält, Bernhard auf der Dresdner Bühne selbst auftritt und handelt. Ein schöne Idee ist immerhin, dass ein Erinnerungsspiel mit zwei Generationen gezeigt wird, indem Erwachsene auf der Bühne mit sich selbst als Kindern konfrontiert werden.

Der ehrenwerte Versuch des Staatsschauspiels Dresden, am Vorabend der sächsischen Landtagswahl mit Christoph Heins Roman "Landnahme" auf der Bühne einen Kommentar gegen Fremdenfeindlichkeit zu geben, scheiterte künstlerisch leider an einer mißlungenen dramaturgischen Einrichtung und an einer Inszenierung, die statt Fragen und Bildern nur Haltungen und Worte zu bieten hat.