Wo kommt der name ödipus her

Die Vorgeschichte

Das Orakel von Delphi weissagt König Laios von Theben, dass er durch seinen Sohn sterben werde und rät ihm deshalb keinen zu zeugen. Als er ungeachtet Apollons Warnung dennoch einen Sohn zeugt, lässt er ihn von einem Hirten im Kithairongebirge aussetzen. Aus Mitleid vertraut der thebanische Hirte das Kind einem befreundeten korinthischen Hirten an, der es dem kinderlosen Herrscherpaar von Korinth übergibt. Die Fersen des Kindes waren durchbohrt und mit einem Strick zusammengebunden; deshalb waren die Füße des Kindes geschwollen und daraus leitet sich der Name des Kindes ab: Ödipus bedeutet Schwellfuß.

Viele Jahre später (wohl im frühen Mannesalter) spotten die Freunde über Ödipus und behaupten, dass er nicht der rechmäßige Sohn des Königs von Korinth sei. Er geht nach Delphi und fragt Apollon nach seiner Herkunft. Das Orakel lautet, dass er seinen Vater töten und mit seiner Mutter schlafen und Kinder zeugen werde. Erschrocken beschließt Ödipus, nie wieder nach Korinth zu gehen. (Ödipus wird damit zu einem Heimatlosen.)

Unterwegs an einem Dreiweg oder einer Weggabelung trifft Ödipus auf Laios, der ihn scharf und unfreundlich aus dem Weg gehen heißt. (Vielleicht fordert Laios Achtung vor seiner Würde als König von Theben. Vielleicht pariert Ödipus als Prinz von Korinth mit denselben Ansprüchen. Wir wissen es nicht. Es sieht eher so aus, als hätte sich weder der eine dem anderen noch der andere dem einen zu erkennen gegeben.) In einem Zornausbruch erschlägt (der jüngere und kräftigere) Ödipus (den älteren und schwächeren) Laios. Damit erfüllt sich die ganze Weissagung von Apoll für Laios und der erste Teil derselben für Ödipus.

Unterwegs kommt Ödipus an Theben vorbei. Die Stadt wird von einem Ungeheuer heimgesucht. Die Sphinx stellt allen Vorbeikommenden ein Rätsel und tötet sie, wenn sie es nicht erraten. Ödipus löst die Aufgabe und das Ungeheuer stürzt sich in den Abgrund (in seinen eigenen Abgrund).

Zum Dank erhält Ödipus die Krone Thebens und die verwitwete Königin, seine Mutter Iokaste, zur Gemahlin. (Hier kommt der heimatlose Wanderer, der Reisende ohne Ziel, der Vagabund, der im Grunde vor sich selbst Fliehende zum Stehen, hier wird der ziellos umherstreifende Nomade, Beduine, Zigeuner sesshaft.) Mit ihr zeugt er Antigone, Ismene, Eteokles und Polyneikes, die den Fluch fortsetzen.

Theben wird derweil wegen des unaufgeklärten Mordes am König von der Pest heimgesucht. Um Aufklärung zu finden und die Stadt zu retten, schickt Ödipus seinen Schwager Kreon (der eigentlich sein Onkel ist, denn Kreon ist der Bruder von Iokaste) nach Delphi, um das Orakel zu befragen und Apoll um Rat zu bitten.

Die Tragödie

Die Thebaner versammeln sich unter der Führung eines Priesters und bitten Ödipus, die Stadt jetzt ebenso von der Pest zu befreien wie vormals von der Sphinx. Nachdem Ödipus die Bürger darüber informiert hat, dass er Kreon nach Delphi geschickt habe, tritt dieser selbst auf und teilt dem Volk zögernd mit, dass das Orakel behaupte, dass seit dem Mord an König Laios eine Blutschuld auf der Theben laste und dass Apoll fordere, dass diese unverzüglich getilgt werden müsse, wenn die Stadt vor ihrem Schlimmerem verschont bleiben wolle.

Ödipus erfährt von Kreon, dass Laios nicht von einem Einzelnen, sondern von einer Räuberbande erschlagen worden sei und stimmt einer sofortigen Verfolgung und Bestrafung der Verbrecher, einer Sühne der Frevler zu. Der (ahnunslose) Chor der thebanischen Ältesten stimmt ein Freudenlied, ein Loblied, eine Hymne an.

Teiresias, der greise und blinde Seher, den Ödipus auf Kreons Rat hin holen lässt, weicht den Fragen seines Herrn zuerst aus und hüllt sich in dunkle Andeutungen. Erst als Ödipus grob und drohend wird, nimmt Teiresias kein Blatt mehr vor den Mund: Ödipus selbst ist der Täter, hat seinen Vater erschlagen und lebt mit seiner Mutter in inzestuöser Ehe zusammen. Der (ahnunslose) Chor der thebanischen Ältesten erklärt bestürzt seine Loyalität gegenüber Ödipus, bis die Sache geklärt sei.

Außer sich vor Wut (wie könnte es anders sein) beschuldigt Ödipus Teiresias der aufrührerischen Komplizenschaft mit Kreon (immer dieser innerfamiliäre Zwist, diese Rivalität bis aufs Blut innerhalb der Verwandtschaft, immer diese Reproduktion unersättlicher Missgunst, diese Perpetuierung unversöhnlichen Argwohns – schrecklich! nachvollziehbar?), doch Teiresias wiederholt darauf nur dasselbe noch einmal. Auch Kreons eigener Rechtfertigung schenkt Ödipus kein Ohr. Iokaste, die Schwester Kreons und die Mutter und Ehefrau von Ödipus, die den Streit zu schlichten versucht, erreicht, dass Kreon nur aus den Augen von Ödipus verbannt wird.

Im Gespräch mit Ödipus erfährt Iokaste erleichtert von Teiresias Anschuldigungen, Verleumdungen, habe man doch Laios geweissagt, er werde von seinem Sohn ermordet, offensichtlich sei er jedoch von Räubern an einem Dreiweg umgebracht worden. Das Stichwort "Dreiweg" bringt Ödipus mit einem Schlag zur Erkenntnis der Wahrheit. Ödipus berichtet Iokaste von dem Spott, den er in Korinth erdulden musste und vom delphischen Orakel, verschweigt aber seinen Totschlag am Dreiweg. Der Chor meditiert über den Wert von Orakelsprüchen.

Ein Bote aus Korinth meldet Iokaste, Polybos, der König von Korinth und vermeintliche Vater von Ödipus, sei eines natürlichen Todes gestorben. Das lässt Iokaste für einen Augenblick aufatmen, ja triumphieren, denn die Nachricht bestätigt ihre Meinung von der Wertlosigkeit von Sehersprüchen, Weissagungen, Prophezeiungen und Orakeln. Die nächste Nachricht des Boten verschlägt ihr den Atem dann allerdings endgültig restlos, denn der Bote gibt sich als derjenige korinthische Hirte zu erkennen, der das Kind Ödipus (wohl ein Säugling noch) vor Jahren von einem befreundeten thebanischen Hirten erhalten und es dem kinderlosen korinthischen Herrscherpaar zur Adoption gegeben hat. Der Chor der thebanischen Ältesten erkennt (wie immer) die Wahrheit noch nicht und stimmt ein Freudenlied, ein Loblied, eine Hymne an.

Durch den Hirten, der einst Ödipus aussetzen sollte und gleichzeitig auch der einzige überlebende Augenzeuge des Mordes an Laios ist, wird die ganze Wahrheit ausgesprochen. Der Chor nimmt den Sturz des Königs zum Anlass, sich allgemein über die Scheinhaftigkeit des menschlichen Lebens zu äußern, stimmt also eine Art Klagelied, Ode an.

Iokaste erhängt sich (das scheint bei Frauen in der griechischen Tragödie die üblich Form der Selbsttötung zu sein; vgl. mit Antigone).

Ödipus blendet sich und tritt klagend aus dem Palast. Er wird von Kreon angewiesen, so lange im Palast zu beleiben, bis Kreon das Orakel befragt habe, welches über das weitere Schicksal von Ödipus befinde. Auf seine beiden Töchter Antigone und Ismene gestützt kehrt Ödipus in den Palast zurück. Damit endet die Tragödie.

Der Blog

Laios handelt gegen besseres Wissen.

Ödipus handelt nach bestem Wissen.

Beide handeln ohne das Vermögen oder die Gnade der Einsicht in das höchste Wissen.

Und worin bestünde dieses?

Im unbedingten Glauben an die Götter. In der Demut und im Gehorsam ihnen gegenüber.

Beide handeln fromm, aber ohne dem Orakel, dem delphischen Gott Apoll Glauben zu schenken.

Beide handeln fromm, ohne auch nur das geringste Gehör für die Stimme der tatsächlichen Mächte zu besitzen, die über der Welt herrschen, in auf der Erde walten.

Ödipus ruft sie zwar an, hört sie aber nicht wirklich, nur bedingt, nur eingeschränkt, nur halb.

Laios ruft sie ebenso an, hört sie aber noch weniger.

Beide wissen eigentlich nicht, was sie tun, indem sie nach Delphi gehen und Apoll um Rat fragen, denn sie verstehen das Orakel nicht.

Sie handeln völlig verpeilt, wie man neudeutsch sagen würde.

Sie handeln orientierungslos.

Sie suchen, ohne zu wissen, wonach sie eigentlich suchen.

Sie handeln bezugslos, akzidentiell.

Sie handeln nach einer Überlieferung, deren Leben sich aus ihnen zurückgezogen hat, einer Tradition, die sie nicht mehr am Leben zu erhalten vermögen.

Sie haben keine Ahnung mehr. Ihnen fehlt jeglich Intuition.

Dieser vollkommene Mangel an Gehör für die Stimme der wirklichen Mächte dieser Welt – ja, wohin führt der?

Muss der Ungehorsam nicht zu demselben Ergebnis führen wie der Gehorsam, einfach auf Umwegen?

Im Fall von Laios nein, denn hätte er vom Beischlaf mit Iokaste (und jeder anderen Frau) Abstand genommen, dann wäre er vor der Drohung des Orakels zurückgewichen und dem Rat Apolls gefolgt und dann hätte er auch keinen Sohn gezeugt. Laios kann sein sexuelles Bedürfnis nicht zügeln. Laios kann auch sein Bedürfnis nach Nachkommenschaft, nach einer langen Ahnenreihe nicht bändigen. Er würde es als Schmach, als Schande empfinden, keine Kinder zu haben. Es wäre ihm peinlich, es würde ihn beschämen, es würde ihn beleidigen, kränken, wenn die Leute im Geheimen darüber zu reden anfingen, darüber Gerüchte verbreiten würden, und sie täten es mit Sicherheit – genau diesem Gerede ist ja der junge Mann Ödipus in Korinth ausgesetzt, bloß dass seine Freunde, ohne es zu wissen, verkehrterweise die Wahrheit sagen.

Im Fall von Laios bin ich eindeutig der Meinung, dass ihm das Gehör für die Stimme derjenigen Mächte fehlt, die wirklich regieren.

Jüdisch-christlich (paulinisch-augustineisch?) formuliert gilt für Laios (dem Sinn nach): Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.

Laios neigt dem Weltlichen zu, er hat einen übermächtigen Hang zum Irdischen, er kann sich nicht zum Übeirdischen, Göttlichen erheben.

Im Fall von Ödipus ist die Frage nicht so leicht zu beantworten.

Ödipus handelt logisch, richtig, aber er lebt in einer verstellten Welt.

Ödipus kennt die Welt, in der er lebt, nicht wirklich; er hat sie nicht wirklich durchdrungen.

Er weiß nicht wirklich, woher er kommt; er kennt seine wahre Herkunft nicht.

Er durchschaut die Welt, in der er lebt, nicht wirklich.

Laios macht sich selbst schuldig; der Mord, dem er zum Opfer fällt, ist selbstverschuldet und, was noch schlimmer ist, er reißt mit seiner Schuld ganze Generationen mit (Ödipus und seine Kinder); Ödipus gerät unschuldig ins Unglück und genau das ist meiner Meinung nach das Tragische, denn kein Mensch ist in der Lage sein Schicksal wirklich zu erkennen, einzusehen.

Die wenigsten von uns wissen, wann und wie sie sterben werden. Und die meisten, die es wissen, wissen es erst kurz bevor es geschieht. Und dann sind sie weg und dann wissen wir sowieso nichts mehr.

Ödipus handelt so, wie jeder von uns handeln würde.

(Natürlich reagiert er etwas panisch auf das Orakel und könnte erst einmal nach Korinth zurückkehren und seine Pflegeeltern befragen, aber ich denke, in dieser Hinsicht lassen sich ebenso viele Argumente dafür wie dagegen anführen.)

Während Laios mit seinem Kopf in der Erde steckt und mit den Füßen den Himmel nicht erreicht, um auf ihm zu stehen, steckt Ödipus mit dem Kopf im Himmel und erreicht mit den Füßen die Erde nicht, um auf ihr zu stehen.

Es gibt keine Vermittlung. Die Dinge ordnen sich nicht. Die Dinge klären sich nicht auf, nicht rechtzeitig jedenfalls.

Und dann erschlägt Ödipus im Zorn einen Passanten, der ihm unfreundlich kommt, der ihm hochnäsig, herablassend begegnet oder ihm nicht den gebührenden Respekt zollt. Oder bedroht Laios Ödipus gar. Ist es am Ende Notwehr? Pier Paolo Pasolini deutet als einziger mir bekannter Interpret in seinem Film Oedipe Re dergleichen an, wenn ich mich recht erinnere.

Hier handelt Ödipus bestimmt nicht vernünftig.

Aber um dahin zu gelangen, haben wir tausende von Jahren gebraucht und wenn es hart auf hart geht, dann...vergessen sich sicherlich auch heute noch die meisten.

Kaum jemand wird sich dann an die Bergpredigt erinnern oder sich wie Fürst Myschkin verhalten.

Ist das nicht ein viel zu christlicher und zivilisierter Einwand?

Ließe sich Ödipus nicht provozieren, würde er nicht zum Verbrecher, zum Vatermörder.

Ließe sich sein Blut nicht so schnell in Wallungen, zum Kochen bringen, würde der Mord nicht geschehen.

Wäre er nicht so leicht reizbar...

Zorn ist im christlichen Lasterkanon eine Todsünde und nicht erst Seneca hat ausführlich und verurteilend darüber geschrieben.

Der Zorn macht Ödipus blind und lässt ihn den anderen Menschen nicht als Seinesgleichen erkennen.

Der Zorn macht Ödipus taub für den Anderen und lässt ihn die stumme Bitte um Gnade nicht hören, vernehmen.

Dieses Ausrasten, dieser Jähzorn ist eine Schwäche von Ödipus, mit der er sich am Ende ebenso schuldig macht wie sein Vater, mag er ansonsten noch so logisch, richtig und verständig handeln, noch so vorbildlich menschlich handeln. Daran müsste er arbeiten, würde ein Heutiger fordern.

Ich stimme dem zu, würde aber sofort fragen, woran er sich dann schuldig machen würde, denn das würde er, denn der Mangel an Einsicht ist wesentlich menschlich, der blinde Fleck, das Unbewusste sind im Unsinn Sinn stiftend.

Das ist das Tragische.

Darin besteht die Wahrheit der Tragödie.

Laios macht sich durch seine Trägheit, sein Halb-und-halb, sein Mehr-schlecht-als-recht, seinen Mangel an Entschiedenheit, Entschlossenheit für das, was im Leben wirklich zählt, nämlich die Satzungen der Götter, schuldig. Er hängt zu sehr am Weltlichen, ist zu sehr von ihm eingenommen, er hängt zu wenig am Göttlichen, am wirklich Mächtigen – so zeugt er Ödipus.

Ödipus macht sich ein erstes Mal schuldig, wenn er dem Götterspruch zwar glaubt, ihm aber zu entkommen trachtet. Kaum hat er gehört oder verstanden, dass er seinen Vater erschlagen wird, entschließt er sich dazu, niemals wieder zu seinem (vermeintlichen) Vater zurückzukehren, sondern zu einem im wahrsten Sinne des Wortes heimatlosen Fahrenden.

Seine erste Schuld besteht in diesem ebenso paradoxen wie menschlichen Verhalten.

Wenn mich jemand schlägt, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich zurückschlage, wenn ich dem Schlag nicht ausweichen oder ihn parieren kann. Wenn ich nicht fliehen kann, greife ich an. Vielleicht ist das nicht ganz dasselbe, aber doch ähnlich.

Ödipus glaubt den Göttern, will ihnen aber nicht gehorchen.

Die Götter verlangen von Ödipus etwas Unmenschliches.

Lieber geht er in die Verbannung, ins Exil, als dass er seinen Vater tötet.

In der griechischen Tragödie ist der Verwandtenmord ein zentrales Thema.

Ödipus glaube seinen Göttern, will ihnen aber nicht gehorchen und zwar aus einem verständlichen Motiv heraus: Niemand kann jemanden aus seinem intimsten Kreis, dem Kreis der stärksten affektiven Bindungen töten wollen.

Ödipus bekämpft nun aber sein verständliches Nicht-wollen nicht, sondern folgt ihm – darin besteht seine erste Schuld.

Eigentlich müsste er sein Nicht-wollen in Frage stellen, bekämpfen, therapieren, behandeln; eigentlich müsste er sich bemühen, den Götterspruch anzunehmen, zu akzeptieren, sich damit abzufinden, denn wenn es wirklich ein Götterspruch ist – und zur Hälfte glaubt er das ja wirklich – dann könnte es doch vernünftigerweise kein Entkommen geben.

Die erste Schuld von Ödipus, sein Vergehen, sein Frevel, seine Hybris besteht im Wesentlichen darin, dass er den Göttern und ihren Satzungen zwar Glauben schenkt, seinem Schicksal, seinem Verhängnis, seinem Los, seinem Geschick aber dennoch ebenso entkommen zu können glaubt.

Was für einen von den höchsten denkbaren Mächten (selbst wenn sie nicht allmächtig sind, ja gerade weil sie nicht allmächtig sind – wie Aischylos in Prometheus darlegt; wie sieht das denn beim allmächtigen Gott der Juden, Christen und Muslime aus?) vorherbestimmt ist, dem zu entkommen, von dem zu glauben, ihm entkommen zu können, das ist paradox und menschlich zugleich und ich würde sagen, wir handeln genauso, solange wir gesund (Nietzsche) sind, solange wir jung und kräftig sind, voll überbordener Kraft, überschäumender, sprudelnder Energie.

Der Allmächtige ist in dem meisten Konzeptionen auch der Allwissende (und der Allgegenwärtige). Ödipus kann also eigentlich dem Orakel nicht entgehen, es sei denn, er habe es falsch verstanden, er habe es nicht richtig gedeutet.

Gut archaisch-griechisch, also homerisch und aus dieser Zeit stammt der Stoff der Tragödien, auch wenn sie später verfasst werden, müsste sich Ödipus eigentlich an Apoll oder andere Götter richten, sie weiter befragen, sie bitten, es sich noch einmal zu überlegen, nicht dass sie sich geirrt hätten, aber vielleicht stehen die Götter ja bezüglich Ödipus genauso im Streit, wie sie es im Falle von Odysseus tun, dem Poseidon nicht ohne Grund zürnt und seine Heimkehr sehr in die Länge zieht.

Aber Ödipus handelt nicht so fromm und demütig wie Odysseus, vollkommen bezogen auf die Götter und eingebettet in den Schutz der höchsten Götter (Artemis, die Tochter des Zeus, ist seine streitbare Begleiterin, seine Patronin, seine Fürsprecherin, seine Rechtsanwältin an der Tafel der Olympier), sondern entscheidet selbst, aus sich heraus.

Ödipus ist den Göttern zugewandt und zugleich von ihnen abgewandt.

Die Selbstermächtigung ist die zweite Schuld von Ödipus, seine Abkehr von den Göttern, seine Hinwendung zu den Göttern nur im ersten, aber nicht auch im zweiten Schritt, das ist seine zweite, mit der ersten aber verbundene Hybris.

Das ist vielleicht der zentrale Gedanke Schellings in seiner Freiheitsschrift: Die paradoxe Verquickung von Freiheit und Notwendigkeit. Die Sünde besteht in der Selbstermächtigung des Menschen; so kommt das Böse in die Welt, denn das ist ein Abfall von Gott. Das göttliche Geschöpf weiß, dass es ein göttliches Geschöpf ist, weiß, dass es einen all- oder auf jeden Fall übermächtigen Schöpfer gibt, dennoch löst es sich von ihm und versucht selbständig zu gehen, aufrecht zu gehen.

Die eigentliche zweite Hybris ist der Zornausbruch, verbunden mit dem Totschlag.

So wie sich die klassischen griechischen Frauen alle erhängen, so brechen alle klassischen griechischen Männer in Zorn aus und zerstören sich damit.

Also zuerst Glaube und Nicht-Glaube verbunden mit Selbstermächtigung, anfängliche Zuwendung und sofortige Abwendung von den das Leben bestimmenden Mächten. Das ist das Paradox von Notwendigkeit und Freiheit, aus dem wir nicht herauskommen.

Dann Mangel an Selbstbeherrschung, Unausgewogenheit der Affekt-Balance, Maßlosigkeit – daran arbeitet dann später vor allem Aristoteles in sehr ausführlicher und tiefgehender Art und Weise in seiner Nikomachischen Ethik.

Dass Ödipus sich nicht irrt, sondern richtig denkt und verständig handelt, sich aber täuscht, sich nicht in der Welt befindet, in der er zu sein wähnt, ist meiner Meinung nach für das Tragische unbedeutend.

Ödipus wendet sich vernünftigerweise zuerst an die Mächte, handelt dann aber unvernünftigerweise eigenmächtig weiter, statt sich vernünftigerweise weiter an sie zu halten, sich auf sie zu beziehen – die Mächte wenden sich dann erst ihrerseits an Ödipus, verfolgen ihn, stellen ihm nach und stellen ihn schließlich.

Ödipus sucht zuerst die Mächte, dann flieht er sie und wird von ihnen verfolgt und gestellt.

Wer sich mit den Mächten einlässt, wird sie nicht mehr los.

Und wer sich nicht mit ihnen einlässt? Ich halte das für ausgeschlossen, insofern wir uns immer schon in einem Machtgefüge bewegen – es gibt für uns absolut kein Außerhalb, Es gibt für uns nur Mittendring und d. h. ein Ringen und Sich-Arrangieren mit den Mächten.

Es ist ja nicht so, dass es keine Mächte mehr gäbe, nur weil wir nicht mehr an Götter und auch nicht mehr an Gott glauben; es ist für uns nicht leichter geworden, die Mächte zu erkennen und die guten von den schlechten zu unterscheiden.

Mit diesen Mächten stehen wir in Verbindung, in freundschaftlicher ebenso wie in feindlicher Beziehung; manchmal wollen sie wie wir, manchmal nicht, machmal scheinen wir sie beeiflussen zu können, manchmal scheinen sie uns zu ignorieren, wirklich wissen tun wir es nicht.

Ich weiß nicht wie viele, aber, ich glaube, viele glauben, dass der Klimawandel vom Menschen verschuldet ist – ich würde sagen mit-verschuldet – aber hier fangen die Probleme eigentlich erst an, nämlich inwiefern und inwieweit und was das für Konsequenzen hat bei eine System, das wir noch nicht ganz durchschauen (ich würde sagen, niemals durchschauen und sinnvollerweise trotzdem weiterforschen).

Im Gegensatz zu seinem trägen Vater, der sich treiben lässt, nimmt Ödipus den Götterspruch ernst und sein Leben in die Hände, aber eben in die eigenen, statt sie ganz in die der Götter zu legen.

So führen die Götter Ödipus und ihren Plan durch.

Ödipus führt den göttlichen Plan durch, ohne es zu wissen, in einer Täuschung, unbewusst.

Er verwirklicht, was er vermeiden will.

Er handelt gegen seine eigenen innersten Absicht, indem er das tut, was er für richtig hält, indem er logisch, rational handelt, aber an den eigentlichen Mächten vorbei, ohne Einsicht in die eigentlichen Machtverhältnisse.

Mir kommt es so vor, als würde Ödipus alles richtig und nur einen großen, aber verhängnisvollen Fehler machen, nämlich den Götterspruch selbst, eigenmächtig zu lösen versuchen.

Er bezieht sich bis auf eine kleine, aber verhängnisvolle Ausnahme auf das, was wirklich zählt.

Dazu kommt ein Affekt, der ihn austicken lässt.

Genau solche Tragödien könnte man über die großen Männer am Berg schreiben.

Sie setzen sich Gefahren aus, von denen sie wissen, dass sie tötlich sind, aber sie glauben, dass sie sie unter Kontrolle haben; und sie setzen sich Gefahren aus, von denen sie wissen, dass sie sie nicht kennen, dass sie von ihnen vollkommen überrascht werden und dann vielleicht angemessen auf sie reagieren können oder auch nicht. Was dem einen zum Verhängnis wurde, wird zum Wissen des Nächsten.

Was aber treibt die Menschen an diese Orte, in die der Mensch nicht gehört, die ihm wesentlich feindlich gesinnt sind? Ehrgeiz, Naivität, Verblendung.

Aber ohne sie und ihre abgeforenen Glieder und ihre Tode wäre der Mensch niemals auf den Mount Everest gestiegen, wäre er niemals in den Tschungel vorgedrungen, an den beiden Polen gewesen, wäre er niemals zum Mond geflogen usw.

Ödipus wagt, bewusst oder unbewusst, das Unmögliche, scheitert und scheitert zugleich auch nicht, denn man kann doch nur wissen was für einen unmöglich ist, wenn man es versucht hat und er hat es versucht.

Der Mann Ödipus legt sich natürlich mit den Göttern an, während Antigone, die Frau, sich mit Kreon, dem Menschen, im Namen der Götter anlegt.

Auch Elektra legt sich nur im Namen von Agamemnon und Orestes mit Klytämnestra und Ägistos an, im Namen (mehr oder weniger) ungerechterweise in einem Gattenmord hingerichtet wurden, sie wirkt polemisch im Vordergrund und subversiv-revoltierend, umstürzlerisch, komplottschmiedend im Hintergrund.

Man muss mit den Mächten in Fühlung kommen, um seine eigenen Mächte zu fühlen; irgendwie aber ist es unmöglich, sie genau zu erfühlen und so gibt es die Kühnen und die Mutigen auf der einen Seite und die Ängstlichen und Feigen auf der anderen Seite. Vor dem Gesetz von Kafka ist wohl der Text für die Ängstlichen und Feigen. Eigentlich wissen aber beide doch nur sehr wenig über sich selbst, auch wenn die erstern wenigstens wissen, was sie nicht können, dass sie nicht allmächtig sind etc., während die anderen eigentlich tatsächlich gar nichts wissen, gar nichts über sich und ihre Fähigkeiten in Erfahrung bringen.

Das Leben ist ephemer und doch ist es unser Einundalles.

Es muss gelebt und gestorben werden.

Woher stammt das Wort Ödipus?

Ödipus wuchs bei Adeligen in Sikyon, Korinth oder in Böotien auf, ohne von seiner Herkunft zu wissen. Als er in die Pubertät kam, machte – einer bekannten Sagenversion zufolge – ein Betrunkener auf einem Fest Andeutungen, denen zufolge er nicht der leibliche Sohn seiner Eltern sei.

Ist Ödipus ein Gott?

Sophokles' König Ödipus, Sohn des thebanischen Königspaares Laios und Iokaste, ist die vielleicht tragischste Figur der griechischen Mythologie. Durch die Schuld seines Vaters wird er zum Werkzeug der Götter, die ihn mit dem Fluch belegen, seinen Vater zu töten und seine Mutter zur Frau zu nehmen.

Warum heißt Ödipus Schwellfuß?

Als er tatsächlich einen Sohn bekam, durchstieß er ihm die Füße und setzte ihn aus. Wie in diesem Motiv typisch, wurde er aber von einem Hirten aufgefunden, der ihn dem kinderlosen Königspaar Merope und Polybos von Korinth zur Erziehung übergab. Wegen seiner Fußverletzung nannten sie ihn Ödipus = Schwellfuß.

Hat Ödipus mit seiner Mutter geschlafen?

König Ödipus ist derjenige, der seinen Vater erschlagen und mit seiner Mutter ge- schlafen hat.