Wenn es darum geht, ein typisches Gedicht der Romantik zu nennen, lautet die Antwort schnell Mondnacht von Joseph von Eichendorff. Das Gedicht von 1837 aus der Zeit der Spätromantik beschreibt auf verzaubernde Weise eine Abendstimmung, die Anlass ist für Vorstellungen, die über die sinnliche Wahrnehmung hinausgehen. Es besteht in einer scheinbar einfachen Form aus drei Strophen mit jeweils vier Versen im
Kreuzreim, spielt jedoch mit Klängen, sodass sich teilweise Assonanzen ergeben. Als Metrum lässt sich ein dreihebiger Jambus feststellen, der durch die Gleichmäßigkeit den Eindruck von Harmonie erzeugt. Kurze
Auslegungen von Gedichten der deutschen und englischen Literaturgeschichte erscheinen regelmäßig auf diesem Blog. Diese und weitere Interpretationen werden auch bald als Lektürehilfen für Schüler, Studierende und andere Interessierte in der App verfügbar sein. Es war, als hätt’ der Himmel Die Luft ging durch die Felder, Und meine Seele spannte „Es war, als hätt’ der Himmel / Die Erde still geküßt“ (V. 1/2) – Durch den Konjunktiv wird bereits deutlich, dass sich das Beschriebene nicht nur im realen Naturschauspiel
ereignet. Die Natur in ihrer Abendstimmung wird zum Schauplatz einer Vorstellung des Verbundenseins mit der Welt – auf einer Ebene, die über die sinnliche Wahrnehmung der Natur hinausgeht. Genau diese Beschäftigung mit einem alternativen Zugang zur Erfassung der Welt, etwa durch Gefühle oder Fantasie, macht viele Gedichte der Romantik aus. Der Übergang zwischen zwei Zuständen, der typisch für diese Epoche ist, steht allein schon durch den
angedeuteten Wechsel von Tag und Nacht im Fokus. Der Kuss sowie der daraus hervorgehende Traum spannen als Schwellenmotive weitere Verbindungen – zwischen Himmel und Erde sowie zwischen Realität und Fantasie. Die Erde wird von einem „Blüten-Schimmer“ (V. 3) umhüllt, der eine fast zauberhafte Stimmung mit sich bringt. Die Eindrücke aus der ersten Strophe überlagern nun die Naturbeschreibung der zweiten Strophe, die auf einem Erleben durch die Sinne basiert und den Luftzug durch die Felder und das
Geräusch der Wälder bei sternenklarem Himmel in einer angenehmen Leichtigkeit beschreibt. Ein wichtiges Motiv der Romantik ist die Sehnsucht, die sich in diesem Gedicht in dem Wunsch nach innerer Freiheit bei gleichzeitigem Verbundensein mit der Welt ausdrückt. „Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus“ (V. 9/10) – dieses eindrucksvolle sprachliche Bild zeigt das lyrische Ich mittels einer
Personifikation seiner Seele erstmals als Erlebenden und nicht mehr als impliziten Beobachter der Natur. An die Stelle der Sehnsucht tritt scheinbar die tatsächliche Erfahrung der Freiheit. Der letzte Vers „Als flöge sie nach Haus“ (V.12) verrät jedoch wieder durch den Konjunktiv, dass es sich bei dieser Erfahrung doch nur um eine Vorstellung handelt. Mondnacht berührt besonders, weil es andeutet, dass
vielleicht eine Möglichkeit zur Erfüllung der Sehnsucht gegeben ist und diese für den Leser in Form von Harmonie, Leichtigkeit und Ruhe für einen Moment erlebbar macht. Intermedialität und Synästhesie in der Literatur der RomantikAllein der Titel "Mondnacht" von Eichendorffs Gedicht ist bereits programmatisch. Nach Peter Paul Schwarz verbindet der Dichter mit diesem Motiv "die Vorstellung einer Verwandlung oder Verzauberung der Wirklichkeit" (Schwarz 1970, S. 85). Tatsächlich wird das lyrische Ich in einen traumartigen Zustand, in dem auf den Sehsinn kein wirklicher Verlaß mehr ist, versetzt. Unter Einwirkung des Mondscheins kommt es zu einer Verschmelzung der Sinne, die eine universale Wahrnehmung ermöglicht. Das lyrische Ich assoziiert mit der nächtlichen Natur Dinge, die nach den Vorstellungen unserer Erfahrungswirklichkeit eigentlich nicht möglich sind. Besonders in der ersten und dritten Strophe handelt es sich um illusionäre Phänomene, welche nur in einer irrealen Welt denkbar sind. Sprachlich verdeutlicht wurde dies von Eichendorff durch den Konjunktiv. Die Anfangs- und Schlußformeln - "Es war, als hätt'" (Z. 1) und "Als flöge sie" (Z. 12) - deuten sogar darauf hin, daß sich das lyrische Ich sehr wohl über den phantastischen Charakter seiner Eindrücke bewußt ist. Diese können wiederum als Wunschträume des lyrischen Ich verstanden werden, die dessen Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Überirdischen ausdrücken. Eichendorff konstruiert hier Wahrnehmung, in dem er sie in ein festes Konzept von Ursache und Wirkung preßt. Während sich die Eindrücke der ersten und dritten Strophe im transzendentalen Bereich abspielen, bleibt die zweite Strophe im Irdischen verhaftet. Den eigentlich alltäglichen Naturerscheinungen werden vom lyrischen Ich außergewöhnliche Bedeutung beigemessen, da es darin die Wunschvorstellung der ersten Strophe im faßbaren Bereich verwirklicht glaubt. Sein intensives Erleben der nächtlichen Natur löst schließlich die Entgrenzungsvisionen der dritten Strophe aus. Mondnacht1 Es war, als hätt' der Himmel 5 Die Luft ging durch die Felder 9 Und meine Seele spannte Inhalt1. StropheEichendorff schafft hier das irreale Bild vom mythischen Brautkuss zwischen Himmel und Erde. Die Erde ist derart ergriffen von diesem Kuss, dass sie fortan "im Blütenschimmer" vom Himmel träumt.
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