Warum etwas kaufen wenn

Menschen kaufen keine Produkte, sondern den Nutzen, wahlweise die Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Treiber für einen Kauf sind immer(!) die Bedürfnisse. Kunden kaufen z.B. keine Bohrmaschine, sondern etwas womit sie ein Loch in die Wand machen können. Manchmal kaufen sie gleichzeitig aber auch ein Statussymbol für sich und seine Nachbarn, und sind glücklich das derzeit stärkste Modell (1.000 Watt) einer Bohrmaschine am Markt zu haben. Entscheidend sind Kundenbedürfnisse, die ein Produkt befriedigt und nicht die Eigenschaften eines Produktes.

Menschen lassen ihr Gefühl für (oder gegen) ein Produkt entscheiden. Und dann rationalisieren sie diese Entscheidung.

Wichtige emotionale Gründe, warum Menschen kaufen:

Anerkennung und Ansehen

Viele Menschen möchten etwas Besonderes sein. Ruhm und Status, Prestige und gesellschaftliche Anerkennung ist ihnen wichtig und sie sind bereit viel Geld dafür auszugeben. Porsche und Mercedes leben davon genauso gut, wie Chanel und alle anderen Luxusmarken.

Neugier und “neue” Gefühle

Die „Gier“ nach „Neuem“ treibt an. Neue Produkte bedeuten neue Erlebnisse, neue Erfahrungen und – neue Gefühle. An das erste Mal erinnert man sich, wenn das Gefühl nur intensiv genug ist. Der Wunsch nach Abwechslung treibt viele Menschen an. Neues verspricht Stimulation und vielleicht ein besonderes Gefühlserlebnis. Das Wort „neu“ gehört zu den wichtigsten Begriffen der Werbesprache, weil es die „Neugier“ weckt gleichzeitig weitere Gefühl aktiviert: nach Anerkennung Selbstverwirklichung, indem man als einer der ersten ein bestimmtes Produkt verwendet.

Sicherheit und Stabilität

Das Grundbedürfnis nach Sicherheit brachte in der Evolution Vorteile. Der Säbelzahntiger hat einen einfach nicht so schnell erwischt. Die Menschen wollen sich sicher fühlen. Sie wollen Haus und Familie absichern. Versicherungen profitieren davon genauso, wie Hersteller von Winterreifen und Kindersitzen.

Gesundheit und Fitness

Je älter Menschen werden, desto wichtiger wird die Gesundheit für sie. Deshalb finden wir das Gesundheits-Argument in vielen Bereichen. Fitness-Studios und Hersteller ergonomischer Stühle werben damit genauso, wie die Produzenten von Lebensmittel, deren Produkte irgendwie „bio“, „vital“ oder je nach aktuellem Trend auch „vegan“ sind.

Bequemlichkeit und Zeitersparnis

Mit möglichst wenig Aufwand ein gutes Ergebnis erreichen. Egal ob sie wirklich viel beschäftigt sind oder nicht zugeben wollen, dass sie eigentlich genügend Zeit haben – was bei uns Erfolglosigkeit bedeutet. Zeit ist ein kostbares Gut. Wer Zeit spart, liefert wirksame Argumente: „Kümmern Sie sich um die wichtigen Dinge im Leben. Den Rest erledigen wir.“

Gewinn und Sparsamkeit

Schnäppchenjäger tappen beim Jagen schnell in entsprechende Fallen. Fast jeder will gerne ein Schnäppchen machen und Geld sparen. Im Privatbereich fühlt sich das gut an und im beruflichen Kontext bekommt man vielleicht sogar noch ein Lob vom Chef oder Kunden. Bitte alle mal die Hand heben, die sich wegen eines vermeintlichen Geldvorteils schon mal zu einem überstürzen Kauf haben verleiten lassen. Finanzielle Vorteile, wie den Rabatt, den es „nur heute“ gibt hervorzuheben, kann ein Kaufbeschleuniger sein.

Geselligkeit und Zugehörigkeit

Der Erfolg von Facebook und Whatsapp ist genau dafür ein Beleg: Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er liebt es, sich mit anderen auszutauschen und gemeinsam das Leben zu genießen. Er will sich einer Gruppe oder Gemeinschaft zugehörig fühlen und unterstreicht das mit Marken- und Statussymbolen. In der Fankurve genauso, wie beim Ferrari-Treffen. Die Befriedigung dieses sozialen Bedürfnisses kann sehr stark sein.

Selbstverwirklichung und Individualität

Sein Ding machen und allen Widerständen trotzen. Dieses Bedürfnis steht genau im Widersprich zum Streben nach Geselligkeit und ist dennoch sehr stark. Die eigenen Talente entfalten, ein erfülltes Leben führen ist vielen in der heutigen Gesellschaft sehr wichtig. Dazu gehört eben auch, sich von anderen abzugrenzen, etwa durch den „eigenen“ Kleidungsstil. Das Bedürfnis anders als die anderen zu sein und ungewöhnliche Wünsche ausleben zu können ist „Individualisten“ sehr wichtig und kann bedient werden.

Die Bedürfnisse stehen selten alleine und treten fast immer in einer Kombination mehrerer Elemente auf.

Frau Professor Müller, die Konsumausgaben der Deutschen steigen jedes Jahr. Was treibt uns aus Ihrer Sicht dazu, dass wir immer mehr kaufen?

Das eine ist, dass es in den westlichen Industriegesellschaften eine ansteigende materielle Werteorientierung gibt. Untersuchungen zeigen, dass diese materielle Orientierung in der jüngeren Generation stärker ausgeprägt ist, und wenn diese Kohorten heranwachsen, kommt das natürlich auch in den höheren Altersgruppen an. Das andere ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die Marketingstrategien darauf fokussiert sind, Produkte an den Mann zu bringen. Und durch das Internet gibt es die Möglichkeit, jederzeit und von überall auf der Welt bequem Dinge zu ordern.

Kann es auch mit dem steigenden Stresspegel zu tun haben, den viele Menschen empfinden?

Das kann sein, ist aber eine Hypothese. Ich kann nur etwas zu denjenigen sagen, die tatsächlich in eine Kaufsucht verfallen, die also exzessiv konsumieren. Bei denen ist ein Merkmal, dass sie zur Emotionsregulation einkaufen. Das hängt häufig damit zusammen, dass ihr subjektiver Stresspegel steigt und sie das kanalisieren, indem sie etwas tun, das verfügbar und sozial akzeptiert ist, nämlich einkaufen. Ob das aber für alle Menschen zutrifft, kann ich nicht sagen, dafür bräuchten wir Empirie.

Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Menschen, die schlicht viel konsumieren, und jenen, die unter pathologischem Kaufverhalten leiden?

Menschen, die unter pathologischem Kaufverhalten leiden, sind sehr eingenommen von Gedanken ans Kaufen. Sie können sich davon kaum ablenken und spüren ein starkes Verlangen nach dem Kaufakt, einen starken Wunsch, Dinge zu besitzen. Sie können sich hin und wieder unter Kontrolle halten, aber es kommt regelmäßig zu Kontrollverlusten, bei denen sie Dinge konsumieren, die sie nicht benötigen und anschließend auch kaum oder wenig nutzen. Ein anderes wichtiges Kriterium für Kaufsucht ist, dass diese Menschen negative Folgen des Konsumierens erleben, also finanzielle Probleme haben, familiäre Probleme haben oder selbst sehr unbefriedigt bleiben und trotzdem nicht mit Kaufen aufhören können. Sie haben die Einsicht, aber sie können dem Kaufen nicht widerstehen. Bei ihnen kommt es auch zu neuro-adaptiven Veränderungen, so dass alle möglichen Reize, die irgendwie mit Kaufen assoziiert sind, sofort diesen Kaufwunsch auslösen, nicht nur, wenn sie in einem Laden stehen, sondern auch wenn sie eine Werbung sehen oder etwas hören.

Warum suchen Kaufsüchtige die Befriedigung im Konsum? Sie könnten ja auch andere Wege gehen.

Ja, da haben Sie Recht, sie könnten auch eine Essstörung entwickeln oder einen Zwang. Ein wichtiger Prädiktor für Kaufsucht ist die materielle Werteorientierung. Diese Menschen haben ein geringes Selbstwertgefühl und gleichzeitig die Überzeugung, dass andere sie danach beurteilen, was sie besitzen. Und sie selbst beurteilen andere Menschen auch danach, was die besitzen. Für sie gilt: Wenn ich mehr habe, dann fühle ich mich wertiger. Wenn diese Ideen als innere Schemata vorhanden sind, dann ist das ein ziemlich robuster Befund dafür, dass diese Menschen eher eine Kaufsucht ausbilden als Menschen, denen materielle Werte ziemlich egal sind. Ansonsten gibt es viele unspezifische Risikofaktoren für Kaufsucht, die Sie auch bei anderen psychischen Erkrankungen finden.

Würde das im Umkehrschluss für uns Normal-Konsumierer heißen: Je mehr Selbstwertgefühl ich habe, desto weniger kaufe ich ein?

Ja, das könnte man vermuten, wobei die Zusammenhänge sicher wesentlich komplexer sind.

Sie sagen, dass Kaufsucht insgesamt übersehen und bagatellisiert wird. Warum ist das so?

Zum einen wirkt das Verhalten normal – Sie sehen ja niemandem an, dass er kaufsüchtig ist, anders als zum Beispiel bei einem Menschen mit Alkoholabhängigkeit, bei dem Sie irgendwann die körperlichen Folgeschäden bemerken. Dahinter steht auch, dass wir nicht über Geld sprechen, das ist ein gewisses Tabuthema in unserer Gesellschaft. Wir würden ja erstmal jemanden, der sich ständig etwas Neues zulegt, nicht fragen: Kannst du dir das überhaupt leisten? Außerdem ist es den meisten Menschen mit Kaufsucht total peinlich, dass sie mit Geld nicht umgehen können. Deswegen sprechen sie nur ungern darüber. Das zweite ist, dass Kaufsucht keine anerkannte psychische Erkrankung ist, sie ist im Klassifikationssystem noch nicht verortet. Dadurch wird immer noch relativ wenig Wissen über Kaufsucht in der Ausbildung von Medizinern und Psychologen oder in Fortbildungen vermittelt. Und wenn wenig Wissen auf Seite der Behandelnden vorhanden ist, dann wird auch wenig spezifisch gefragt. Das ist eine Art Teufelskreis.

Meine Vermutung wäre ja gewesen: Konsum ist eigentlich die größte Freizeitbeschäftigung der Menschen und ist so positiv besetzt ist, dass es schwer ist, die dunkle Seite sichtbar zu machen.

Ganz genau. Aber das hängt eben auch damit zusammen, dass man nicht nachfragt: Kannst du dir das überhaupt leisten? Gleichzeitig muss man aber auch klar sagen: Die Prävalenzschätzungen gehen davon aus, dass ungefähr fünf Prozent der Erwachsenen gefährdet oder betroffen sind. Und 95 Prozent sind es nicht. Also muss etwas Individuelles dazukommen. Und vergessen Sie nicht, die Themen Kaufsucht und Schulden sind schambesetzt. Aber ja: Dass es so bagatellisiert wird, liegt auch an der Normalität des Einkaufens.

Sie haben sehr viel Erfahrung damit, wie man Kaufsüchtige therapiert. Können Sie daraus Dinge ableiten, die uns allen dabei helfen könnten, weniger zu konsumieren?

Das A und O ist die Selbstbeobachtung. Vielleicht nehmen Sie mal die Parallele zum Essen: Essen ist ja auch so etwas Normales, das machen alle, und manche essen mehr und manche weniger. Wie versucht man da, ein gesundes Ernährungsverhalten zu erreichen? Sicherlich über Essprotokolle, Tagebücher, Apps, bei denen man schaut: Wie viel bewege ich mich, wie viel esse ich, wie viel trinke ich? Das kann man übertragen aufs Kaufverhalten: Planen, was ich einkaufe, ansparen, sich fragen: Brauche ich das jetzt? Wofür brauche ich das? Wie oft werde ich es benutzen? Und wenn ich bemerke, dass ich einen Schrank öffne und da sind Dinge drin, die ich völlig vergessen habe. Dann in mich gehen und überlegen: Wie war das beim Kauf? Wie ist der abgelaufen, was war mein Motiv für diesen Einkauf? Was habe ich genau gemacht? Was habe ich gedacht? Was habe ich gefühlt? War das wirklich die Ware, die ich brauchte, oder ginge es um einen anderen Affekt, den ich in dem Moment bewältigen wollte? Oder um ein Bedürfnis, das ich durch Kaufen befriedigen wollte? Wenn ich bemerke, dass so etwas öfter passiert, dann muss ich überlegen, wie ich das verändern kann. Das andere ist der Bezahlmodus: Die Nicht-Barzahlungen, das schnelle digitale Einkaufen, dieses „one click and buy“, das ist natürlich Gift. Das unterminiert alles, was wir mit Patienten und Patientinnen mit Kaufsucht in der Therapie einüben: Nämlich erst einmal eine Verzögerung erreichen, einen Aufschub, in dem ich nachdenken kann: Brauche ich das, kann ich mir das leisten, ist das ein vernünftiger Kauf? Worum geht es gerade? Das ist ein Hinweis darauf – so lange das noch bei uns möglich ist – erstmal zu Cash-Zahlungen überzugehen.

Die globale Erwärmung verändert, wie wir über Mobilität denken. Glauben Sie, dass sich auch unsere Haltung zum Konsum wandelt, wird sich zur Flugscham die Kaufscham gesellen?

Ja, das könnte ich mir vorstellen. Die Bewegungen gibt es ja schon, Tauschbörsen, Second-Hand-Märkte, Upcycling. Ob das allerdings die Masse erreicht, wage ich zu bezweifeln. Ohne in ein Industrie-Bashing zu verfallen, muss man sagen, dass durch immer personalisiertere Werbung Wünsche geweckt werden, von denen man vorher nicht wusste, dass man sie hat. Und das zeigt Wirkung. Von daher glaube ich nicht, dass es zu einem generellen Konsum-Shaming kommt. So weit sind wir noch lange nicht.

Das postmaterielle Zeitalter sehen Sie noch nicht vor der Tür?

Nein, das sehe ich noch nicht vor der Tür.

Professor Dr. Astrid Müller ist Psychologieprofessorin an der Medizinischen Hochschule Hannover und eine der profiliertesten Expertinnen für Kaufsucht

Artikel zum Thema

Viele von uns lieben „Shopping“: schlendern, entdecken, an- und ausprobieren, kaufen. Für manche wird dieses Freizeitvergnügen allerdings zum ständigen…

Flat-TV oder Fernreise? Wer etwas kauft, glaubt zu wissen, was ihn glücklich macht. Wie wir maximal zufrieden werden, haben Psychologen erforscht.

Warum in Deutschland so viele Menschen Angst vor der Inflation haben, erklärt der Psychoanalytiker Jakob Müller.

Warum kaufen wir mehr als wir brauchen?

Kontrolle behalten: Kunden kaufen ein Produkt eher, wenn sie es später umtauschen oder zurückgeben können. Schmerzen vermeiden: Beim Bezahlen wird im Gehirn das Schmerzzentrum aktiviert. Die Kreditkarte zu zücken, ist dabei weniger schmerzvoll als das Bezahlen mit Bargeld.

Wann kauft man ein Produkt?

Kunden kaufen nur dann etwas, wenn sie davon profitieren oder sie ihre Bedürfnisse befriedigen wollen. Beispiele dafür sind unabhängig von den Grundbedürfnissen, das Bedürfnis nach Innovation, Kosteneinsparungen, Selbstbestätigung oder Sicherheit. Entscheidend sind immer die folgenden Hauptmotive: Lustgewinn.

Was könnte den Wunsch wecken das Produkt zu kaufen?

Folgende Aussagen sind beispielsweise geeignet, dieses Kaufmotiv zu wecken: „wir liefern Ihnen die Ware bequem bis an die Haustür“ „unser Installationsservice erspart ihnen Kosten und Mühen“