Was macht eigentlich griseldis wenner

Hugo Friedländer

Das gefälschte Testament

Liebe macht erfinderisch

Am 10. August 1908 erschien im »Simplicissimus« eine Satire von Th. Th. Heine zur Hinrichtung der Mörderin Grete Beier: Der Kopf ist gerade gerollt, das gaffende Volk steht jenseits der Gefängnismauern. Einer hebt sein Söhnchen hoch und ruft: »Brafo! Brafissimo! Nochämal, nochämal! Der Gleene hier hat nischt gesähn!«

Selten hat ein Fall die Gemüter so bewegt, wie die Mordtat der Grete Beier. Sie bot tatsächlich alles, was zu einem bewegenden Drama mit tragischem Ausgang gehört: zwei Männer und eine schöne, leidenschaftliche Frau, die dem einen ihr Herz, dem anderen ihre Hand überlässt. Liebe und Hass, Treue und Verrat, Intrigen und Lügen, Gift und Revolverkugeln sind die Ingredienzien. Die Öffentlichkeit teilte sich in Gegner und Sympathisanten des Urteils, die Geschichte regte die Phantasien von Trivialautoren an und fand Eingang in zahlreiche kriminalhistorische Darstellungen.

In der Nähe der sächsischen Kreisstadt Freiberg liegt die kleine Bergstadt Brand. Der Bürgermeister dieses Städtchens erfreute sich allgemeiner Beliebtheit. Seine Tochter Grete Beier war eine auffallende Schönheit. »Bürgermeisters« zählten naturgemäß zu den Honoratioren der Stadt. Dass bei allen Festlichkeiten der Bürgermeisterstochter von den Söhnen der besseren Bürgerschaft der Hof gemacht wurde, war selbstverständlich. Eine ganz besondere Zuneigung schien sie zu dem Handlungsgehilfen Hans Merker gehabt zu haben. Dann lernte sie in Chemnitz einen hübschen, äußerst stattlichen Mann von vierunddreißig Jahren, den Oberingenieur Kurt Preßler, kennen. Preßler war verheiratet, lebte aber von seiner Frau getrennt. Er betrieb die Scheidungsklage. Er näherte sich der schönen Bürgermeisterstochter und erklärte: Er sei bereit, sich mit ihr zu verloben. Sobald er von seiner Frau geschieden sein werde – das dürfte in wenigen Monaten bestimmt der Fall sein –, werde er sie heiraten. Grete Beier erklärte sich damit einverstanden, zumal sie in Erfahrung gebracht hatte, dass Preßler ein großes Vermögen besaß.

Die Liebe zu Preßler schien aber nicht groß zu sein, denn während ihrer Verlobungszeit verbrachte sie mit Merker viele Nächte. Gleichzeitig versicherte sie ihrem Bräutigam, dass er allein ihr Herz besitze.

Am 13. Mai 1907 kam Grete Beier zu ihrem Bräutigam Preßler, der in Chemnitz bereits eine Wohnung gemietet hatte, um seine angebetete Braut heimführen zu können, aufs Zimmer. Grete trat an die Chaiselongue und bedeckte den Mund Preßlers mit einer Flut heißester Küsse. »Nur dich allein liebe ich, nur dir allein will ich angehören«, beteuerte die Schöne. »Damit du, heißgeliebter Kurt, auch siehst, dass ich dir von ganzem Herzen zugetan bin, habe ich dir etwas Schönes vom Jahrmarkt mitgebracht. Erst wollen wir aber Kaffee trinken.« Nach dem Kaffee lud Preßler »sein herziges Gretchen« ein, mit ihm ein Gläschen Eierkognak zu trinken. Gretchen lehnte für sich ab, goss aber ihrem Liebsten ein Gläschen ein und ließ unbemerkt ein Stückchen Zyankali in das Glas gleiten. Preßler sagte: »Auf dein Wohl, mein herziges, heißgeliebtes Kind«, und leerte das Glas mit einem Zuge. In demselben Augenblick sank Preßler um, er gab keinen Laut mehr von sich. Grete Beier wollte aber »ganze« Arbeit machen. Sie zog daher eiligst einen geladenen Revolver. Preßler lag, heftig röchelnd, mit geöffnetem Munde auf der Chaiselongue. Sie steckte ihrem Opfer den Revolver in den Mund und drückte ab. Das Gehirn spritzte weit im Zimmer umher, ein heftiger Blutstrom ergoss sich aus dem zerschmetterten Kopfe Preßlers. Eiligst verließ sie die Stätte ihres infamen Verbrechens und lief zum Bahnhof, um mit dem nächsten Zuge nach Freiberg zu fahren. Dort begab sie sich in eine Gesellschaft, wo viel gelacht, getrunken und getanzt wurde. Sie erzählte ihren Freundinnen: Ihr Bräutigam freue sich, dass er sie sehr bald werde als Gattin heimführen können, er habe bereits eine sehr hübsche Wohnung gemietet. »Ich bin alsdann Frau Oberingenieur«, rief sie freudig aus.

Etwa eine Stunde nach der grausigen Tat trat der Bruder, Gerichtsreferendar Karl Preßler, in das Mordzimmer. Er war sofort der Überzeugung, sein Bruder habe Selbstmord begangen. Der Revolver lag neben der Leiche. Einen Schuss hatte er sich in den Mund gegeben. So handelt nur ein Selbstmörder. Auf dem Tisch lag ein Brief, der zweifellos von Kurt Preßler geschrieben war. In diesem Briefe bat er den Bruder um Verzeihung, dass er ihm das Schreckliche angetan habe, er war aber genötigt, aus dem Leben zu scheiden. Er bitte ihn, seine Braut und alle Angehörigen zu trösten. Auch die polizeiärztliche Untersuchungskommission gewann die Überzeugung, dass Preßler Hand an sich gelegt habe. Die Leiche wurde ins Krematorium geschafft und eingeäschert.

Inzwischen fand man im Nachlass des Entseelten ein Testament, in dem Grete Beier zur Universalerbin eingesetzt war. Diese Entdeckung sowie das Verhalten der Grete machte den Referendar Preßler etwas stutzig. Er ließ den erwähnten Brief und das Testament durch Schreibsachverständige prüfen. Letztere gelangten zu der Überzeugung, dass beides gefälscht war. Referendar Preßler erstattete sogleich Anzeige.

Grete Beier, die sich bereits seit einiger Zeit wegen Unterschlagung eines Sparkassenbuchs in Untersuchungshaft befand, gestand nach anfänglichem Leugnen, dass sie den Brief und das Testament gefälscht und alsdann Preßler ermordet habe. Sie gestand auch, dass sie lange vor dem Morde eine Brander Botenfrau beauftragt hatte, ihr in einer Freiberger Waffenhandlung einen Revolver mit scharfen Patronen zu kaufen. Der Waffenhändler hatte aber die Verabfolgung des Revolvers abgelehnt. Es gelang Grete Beier alsdann, sich einen Revolver mit scharfen Patronen zu beschaffen, den die Brander Polizeibehörde mit Beschlag belegt hatte, da der Besitzer des Revolvers den Versuch gemacht hatte, sich zu erschießen. Mit diesem Revolver hatte Grete Beier ihren Bräutigam erschossen.

Am 29. Juni 1908 hatte sich Grete Beier wegen Ermordung des Oberingenieurs Preßler und wegen schwerer Urkundenfälschung vor dem Schwurgericht zu Freiberg in Sachsen zu verantworten. Das an der Promenade gelegene Gerichtsgebäude war von einer nach Tausenden zählenden Menschenmenge belagert; der Zuhörerraum des Schwurgerichtssaales wurde fast gestürmt. Auf Aufforderung des Vorsitzenden erzählte die Angeklagte in tadellosem, fließendem Deutsch: »Ich bin am 25. September 1885 in Brand als Tochter des dortigen Bürgermeisters geboren und evangelischer Konfession. Nach meiner Konfirmation kam ich in die Tanzstunde. Dort lernte ich einen Herrn Öhlsner kennen, zu dem ich mich um so mehr hingezogen fühlte, als meine Mutter sehr schroff und lieblos zu mir war. Unter diesen Umständen hatte ich mehr wie andere Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit. Ich fühlte mich allein auf der Welt und freute mich daher, in Öhlsner einen Menschen gefunden zu haben, dem ich mich anschließen konnte. Es war ein schönes, rein ideales Verhältnis; jedoch die Mutter war dagegen; denn ihr genügte der junge Mensch nicht. Wir setzten unsern Verkehr heimlich fort. Im Laufe der Zeit nahm das Verhältnis einen intimeren Charakter an, ich konnte ihn nicht abweisen. Durch Missverständnisse kamen wir auseinander. Am 25. Februar 1905 lernte ich auf einem Maskenball des kaufmännischen Vereins in Freiberg Hans Merker kennen. Es war sozusagen eine Liebe auf den ersten Blick, denn wir fanden sofort Gefallen aneinander. Schon am 9. März desselben Jahres verlobten wir uns heimlich. Er wusste so schön zu erzählen. Neben der Liebe zog mich Mitleid zu diesem Mann, der allein auf der Welt stand. Es war eine sehr glückliche Zeit, die ich mit ihm verlebte, auch ein schönes ideales Verhältnis. Da erfuhr ich von Unterschlagungen, die er im Geschäft begangen hatte. Kniefällig bat er meinen Vater, ihn zu retten, aber ich war dagegen.

An einem Sonntagmorgen kam er wieder: ›Nur Sie können mir helfen!‹, sagte er zu meinem Vater. Ich kümmerte mich nicht um ihn, sondern ging in die Kirche. Ich bin überhaupt – wenigstens war es früher so – sehr religiös veranlagt, ich bin nicht so ruchlos, wie ich jetzt erscheinen mag. In der Kirche sprach der Pfarrer über das Thema vom verlorenen Sohn. Er legte nahe, dass wir nicht das Recht hätten, über die Menschen zu richten, und dass wir einem, der gestrauchelt sei, helfen müssten. Die Rede machte tiefen Eindruck druck auf mich. Ich fasste den Entschluss, aus Merker einen tüchtigen Menschen zu machen. Ich glaubte nicht, dass er ein unverbesserlich leichtsinniger Mensch war. Er bekam also von uns das Geld, und von jetzt ab wurde der Verkehr intimer, ich nahm ihn wiederholt mit auf mein Zimmer.

Um diese Zeit hörte ich, dass Merker auch andere Verhältnisse hatte. Es gab Szenen und Auftritte, in deren Verlauf Merker hartnäckig leugnete. Aber ich blieb misstrauisch. Am 15. Februar 1906 lernte ich auf dem Ingenieurball in Chemnitz Preßler kennen. Er war mein Tischherr, und wenn ich mich auch nicht gleich zu ihm hingezogen fühlte, so interessierte er mich doch. Es folgte ein längerer Briefwechsel, schließlich lud er mich ein, ihn in Chemnitz zu besuchen. Wir gingen ins Theater. Für den andern Tag war Preßler zu Mittag geladen, er sagte, dass er durchaus ernste Absichten habe, ich wollte mich aber nicht gleich binden. Als er mir vor dem Essen auf dem Flur das Jackett hielt, versuchte er, mich an sich zu ziehen. ›So schnell auf keinen Fall!‹, sagte ich. Beim Essen fasste er plötzlich meine Hand mit den Worten: ›Wir beide müssen zusammenbleiben.‹ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

Dieser Händedruck war eigentlich die ganze Liebeserklärung...