Wenn arbeitgeber wiedereingliederung abgelehnt

albin.göbelBeiträge: 705Registriert: Mittwoch 10. November 2010, 14:55

Darf Arbeitgeber die Stufenweise Wiedereingliederung ablehnen?

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Beitrag von albin.göbel » Dienstag 21. August 2012, 15:35

magdalena.mayer hat geschrieben:Darf der Arbeitgeber die Wiedereingliederung einfach ablehnen?

Hallo Frau Mayer,

nein, der Arbeitgeber darf eine fachärztlich verordnete Stufenweise Wiedereingliederung im Betrieb nicht nach Belieben ablehnen.

Der Arbeitnehmer hat vielmehr nach neuerer Rechtsprechung regelmäßig Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung egal, ob schwerbehindert, behindert, oder nichtbehindert (ebenso Düwell in LPK-SGB IX, § 84 Rn. 54 m.w. Nachweisen). Ein Anspruch besteht jedenfalls insoweit, als ein ordnungsgemäßer ärztlicher Wiedereingliederungsplan vorliegt und dem Arbeitgeber zumutbar. Arbeitgeber haben ansonsten u.U. im Verweigerungsfalle mit Schadensersatzansprüchen zu rechnen nach folgendem wegweisenden Urteil wegen "unzureichender Durchführung" des BEM.

Leitsatz: "Zu den gebotenen Maßnahmen des Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX gehört auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung. Die frühere Auffassung, dem Arbeitgeber stehe die Entscheidung hierüber frei, ist nach Einführung des § 84 SGB IX überholt. Im Weigerungsfall kommen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gemäß § 280 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 84 Abs. 2 SGB IX in Betracht."
LAG Hamm vom 04.07.2011, 8 Sa 726/11

NB: Ein solcher Plan ist nur schwer von Hausärzten aufstellbar, weil diesen die betrieblichen und sozialmedizinischen Kenntnisse oft fehlen. Sinnvoll wäre es, wenn alle Beschäftigten eine Kopie ihrer Gefährdungsbeurteilung hätten und diese ihren Ärzten vorlegen könnten. Trotz der Dokumentationspflicht des § 6 ArbSchG erscheint dies in Deutschland allerdings noch futuristisch zu sein (Prof. Kohte, WSI-Mitteilungen 7/2010, Seite 376/377).


Viele Grüße
Albin Göbel

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Dauererkrankte Mitarbeiter können im Rahmen einer sogenannten stufenweisen Wiedereingliederung (Hamburger Modell) in das Arbeitsleben wieder eingegliedert werden. Arbeitgeber müssen einer solchen Wiedereingliederung nicht zwingend zustimmen. Anders stellt es sich aber bei schwerbehinderten Menschen nach dem SGB IX dar. Das Hessische Landesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass die Ablehnung eines Antrages auf Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer Schadensersatzpflichten des Arbeitgebers auslöst (Hessisches Landesarbeitsgericht v. 7.8.2017, 7 Sa 232/17).

Wenn arbeitgeber wiedereingliederung abgelehnt

Arbeitgeber müssen bei langzeiterkrankten Mitarbeitern einer Wiedereingliederung nicht zustimmen. Anders verhält es sich, wenn es sich um einen schwerbehinderten Menschen handelt. (Copyright: Doris_Heinrichs/stock.adobe.com)

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer begehrt Schadensersatz wegen der Ablehnung einer stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme. Der Arbeitsvertrag besteht bereits seit 1991. Der Kläger ist als technischer Angestellter bei einem Straßenverkehrsamt beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach dem TVöD. Der Arbeitnehmer ist in die Entgeltgruppe 12 eingruppiert und erhält ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von 5.195,97 €.

Es besteht ein Grad der Behinderung von 70. In der Zeit von August 2014 bis zum 6. März 2016 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt.

Aufgrund der krankheitsbedingten Abwesenheit wurde der Kläger dem betriebsärztlichen Dienst zur Beurteilung vorgestellt. Gemäß der Beurteilung der Betriebsärztin vom 12. Oktober 2015 sollte nicht von einem kurzfristigen Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit auszugehen sein.

Nur kurze Zeit später, unter dem 28. Oktober 2015, beantragte der Kläger jedoch unter Vorlage eines Wiedereingliederungsplanes seines Arztes eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Der Arbeitgeber hat diesen Antrag abgelehnt.

Unter dem 7. Dezember 2015 hat der Kläger erneut Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben beantragt. Diesmal hat der Arbeitgeber dem Antrag zugestimmt. Nach erfolgreicher Wiedereingliederung wurde die volle Arbeitsfähigkeit des Klägers am 7. März 2016 auf seinen bisherigen Arbeitsplatz wiederhergestellt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass die Beklagte den ersten Wiedereingliederungsplan vom 28. Oktober 2015 zu Unrecht abgelehnt habe. Er hat hierzu behauptet, dass er bei der Anwendung und Durchführung des ersten Wiedereingliederungsplanes bereits am 18. Januar 2016 wieder voll arbeitsfähig gewesen wäre. Daraus hat er zugleich gefolgert, dass ihm ein Schaden wegen des Verdienstausfalls entstanden sei.

Das Arbeitsgericht Frankfurt hat die Zahlungsklage, gerichtet auf den Verdienstausfall in Höhe von 8.486,75 € abzüglich Krankengeld und Arbeitslosengeld abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht den Schadensersatzanspruch zugesprochen.

I. Pflicht zur Gewährung der stufenweisen Wiedereingliederung

Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung zunächst klargestellt, dass aus § 84 Abs. 2 SGB IX (jetzt § 167 Abs. 2 SGB IX) ein Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung folgt. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung sowohl des Betrieblichen Eingliederungsmanagements als auch der in diesem Zuge als geeignet in Betracht kommenden Maßnahmen, so zieht dies eine Verpflichtung zum Schadensersatz gem. § 280 BGB nach sich.

Hinweis für die Praxis:

Der Schutz von schwerbehinderten Menschen nach dem SGB IX ist sehr hoch. Anträge auf stufenweise Wiedereingliederung können daher bei diesem Personenkreis nicht ohne Rechtsnachteile abgelehnt werden. In Zweifelsfällen ist mit dem behandelnden Arzt des Arbeitnehmers Kontakt aufzunehmen oder aber ergänzend ein Betriebsarzt einzuschalten.

II. Ermittlung des Schadens

Verstöße gegen das SGB IX beinhalten keine unmittelbaren Rechtsfolgen. Gesetzlich ist dazu nichts geregelt. Das Landesarbeitsgericht hat allerdings klargestellt, dass dies nicht zu einer rechtlichen Unverbindlichkeit und Folgenlosigkeit bei Gesetzesverstößen führen kann. Der Arbeitnehmer hat daher Anspruch auf die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert seines Vermögens ohne Eintritt der Ablehnung der Wiedereinsetzungsmaßnahme und dem tatsächlichen Wert seines Vermögens. Dies umfasst dann das Arbeitsentgelt, das der schwerbehinderte Arbeitnehmer bei einer zeitlich früheren Herstellung seiner Arbeitsunfähigkeit verdient hätte.

Im konkreten Fall wäre der Arbeitnehmer zu einem früheren Zeitpunkt wieder voll arbeitsfähig gewesen. Zu ersetzen ist daher der Differenzlohn zwischen der Zeit vom 18. Januar 2016 bis zum 7. März 2016.

Fazit:

Arbeitgeber sollten bei der Rückkehr von langzeiterkrankten Mitarbeitern nicht vorschnell eine Wiedereingliederung in das Erwerbsleben ablehnen. Dies betrifft sowohl Fälle der stufenweisen Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell als auch Fälle, in denen die volle Arbeitsfähigkeit behauptet wird. Bei Ablehnung drohen Schadensersatzansprüche. In Zweifelsfällen sind weitere ärztliche Diagnosen einzuholen. Keinesfalls dürfen sich Arbeitgeber über bestehende ärztliche Atteste, auch wenn sie nicht nachvollziehbar sind, einseitig hinwegsetzen.

Kann eine Wiedereingliederung abgelehnt werden?

Die Richter stellten klar: Arbeitgeber dürfen Maßnahmen einer Wiedereingliederung ablehnen, wenn sie aufgrund ärztlicher Gutachten, insbesondere eines Gutachtens des Betriebsarztes oder des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, begründete Bedenken haben, dass die Maßnahme Aussicht auf Erfolg hat (BAG, 16.5.2019, Az ...

Kann der Arbeitnehmer Wiedereingliederung ablehnen?

Die Wiedereingliederung ist ein freiwilliger Prozess. Sowohl der Angestellte als auch dessen Krankenkasse können die Maßnahme der Wiedereingliederung ablehnen, aber auch Sie als Arbeitgeber haben das Recht dazu.

Kann ich nach langer Krankheit ohne Wiedereingliederung arbeiten?

Nach langer Erkrankung dürfen Mitarbeiter ihre Arbeit nicht in vollem Pensum wieder aufnehmen – unabhängig von der Ursache. Vielmehr muss der noch angeschlagene Mitarbeiter schrittweise an die Arbeit herangeführt werden.

Wer entscheidet über stufenweise Wiedereingliederung?

Die stufenweise Wiedereingliederung soll arbeitsunfähigen Beschäftigten ermöglichen, sich schrittweise wieder an die bisherige Arbeitsbelastung zu gewöhnen. Sie wird vom Arzt/von der Ärztin in Abstimmung mit dem Versicherten/der Versicherten und dem Arbeitgeber verordnet.