Wer anal mag ist schwull

Die meisten Coming-outs von Personen des öffentlichen Lebens machten zuletzt Schlagzeilen mit «empowernden» Botschaften oder befreiungsschlagartigen Statements, die von langem Kampf und schwerer Entscheidung handelten. Jannik Schümann, Star der Serie «Charité» und dem Coming-of-Age-Kinoklassiker «Die Mitte der Welt», hat am Zweiten Weihnachtsfeiertag einfach ein Foto von sich und Yoga-Coach Felix Kruck auf Instagram gespostet, mit Kuss und inniger Umarmung. Ein Herz darunter gesetzt. Und sonst nichts. Ist das die neue Selbstverständlichkeit im Umgang mit LGBTIQ?

«Bisher hatte Schümann diesen Teil seines Privatlebens nicht öffentlich thematisiert», schreibt die BILD-Zeitung unter der Überschrift «Jannik Schümann zeigt seine Liebe». Und zitiert seine Mutter mit dem Satz: «Wir sind sehr, sehr stolz auf Dich. Wir lieben Dich.» Auch Moderator Jochen Schropp postete umgehend einen «Proud of you»-Kommentar. Mit drei Herzchen dahinter. Es folgen dann noch 5.000 weitere Herzen (Stand 27.12.2020), u. a. von «Mitte der Welt»-Co-Star Louis Hofmann und von «Mitte der Welt»-Regisseur Jakob M. Erwa. Wir erinnern uns: In diesem Film spielte Schümann den bisexuellen neuen Mitschüler, der einen der eindrucksvollsten Slow-Motion-Auftritte der Filmgeschichte hat, bevor er der von Louis Hofmann («Dark») gespielten Figur den Kopf verdreht, ihm die Geheimisse von schwulem Sex zeigt und schliesslich das Herz bricht.

Wer anal mag ist schwull

Der Film ist von 2016. Im Jahr zuvor spielte Schümann in «Mein Sohn Helen» einen Transcharakter in der ARD. Und in der zweiten Staffel von «Charité» war er ein schwuler Sanitätsoffizier im Zweiten Weltkrieg mit herzergreifender Liebesgeschichte im Schatten der homophoben Naziideologie. Im Zusammenhang mit der Erstausstrahlung von «Charité»-Staffel 2 sagte Schümann 2019 auf die Frage, wo er die Möglichkeiten und Grenzen von Prominenten sehe, soziale Netzwerke für politische Kommentare und Aufrufe zu Demonstrationen zu nutzen bzw. um «Haltung» zu zeigen: «Es ist nicht unsere Aufgabe, auf Instagram nur jedes neue Shampoo zu bewerben. Wir haben eine grosse Anzahl von Menschen, die unsere Profile verfolgen, und das bringt auch die Verantwortung mit sich, diese Plattform sinnvoll zu nutzen. Und wenn ich meine Reichweite dafür einsetzen kann, Aufmerksamkeit für wichtige politische Statements zu schaffen, dann sehe ich da erst mal keine Grenzen.»

Schönheit als Karrierehindernis
Damals sagte Schümann auch – nachdem er von einem lokalen Szenemagazin zum «schönsten Mann Berlins» gewählt worden war –, dass es ihn nerve, immer auf sein Aussehen reduziert zu werden. Und dass er 2017 eine ganze Reihe von Absagen bekommen habe, mit der Begründung, er sei «zu schön für die Rolle». («Man würde mir nicht glauben, leiden zu können. Weil mit einem Aussehen wie dem meinen könne das Leben ja nicht so hart sein.»)


«Ich fühle mich richtig befreit» – Die Coming-outs 2020

Als aussergewöhnlich attraktiver Mann und als bekanntes Gesicht aus Film und Fernsehen fällt Schümann in der Öffentlichkeit natürlich auf. Und auch wenn er in Interviews zum Thema Partnerschaft und sexuelle Orientierung diplomatisch geschwiegen hat – wen geht das schliesslich etwas an, wenn’s darum geht, eine schauspielerische Leistung zu beurteilen? –, so hat er männliche Begleiter bei privaten Ausflügen etwa in die Komische Oper Berlin auch nicht gerade versteckt, sondern sich unkompliziert und offen mit ihnen gezeigt. Ohne Sonnenbrille à la Julia Roberts in «Notting Hill».

In die Komische Oper kam Schümann 2019 mit männlicher Begleitung, um Katharine Mehrling in der ultra-queeren Barrie-Kosky-Inszenierung von «Ball im Savoy» zu sehen. Mit Mehrling hatte Schümann im Frühjahr 2019 einen kleinen film noir gedreht zu dem Lied «Strassen von Berlin» von Komponist Paul Hankinson.

Auf der Suche nach etwas Neuem
Dieses Musikvideo erzählt u. a. die Geschichte, dass Schümann eine sich im Bett räkelnde junge Frau hinter sich lässt und auf den Strassen der Hauptstadt mit Blicken etwas Neues sucht, in diesem Fall den attraktiven Musicaldarsteller Dennis Hupka.


Wer anal mag ist schwull

Zu MANNSCHAFT sagt Katharine Mehrling, auch mit Blick auf den Weihnachtsinstagrampost: «Ich hatte Jannik immer im Kopf für diesen jungen Mann, der durch Berlin zieht, alle Möglichkeiten hat, aber nirgends stehen bleibt. Jannik ist ein grossartiger Schauspieler und vor allem ein ganz wundervoller Mensch, und ich freue mich sehr, dass er glücklich ist.»

Dass damals niemand in der Boulevardpresse auf die schwule Handlungsebene des Musikvideos reagiert hat, mag erstaunen. Vielleicht liege es daran, dass «das Video alles offen lässt», sagt Mehrling. Es lässt auch offen, wie autobiografisch oder nicht das Ganze ist.

Well done, Superstar
Nun also die öffentliche Umarmung mit Felix Kruck. Und ansonsten kein weiterer Kommentar. Oder anders ausgedrückt: das Kommentieren überlässt Schümann den anderen. So sendeten Vladimir Burlakov und Sabin Tambrea, Clemens Schick sowie so ziemlich die gesamte deutsche Schauspielstarriege Herzchen zurück, Natalia Wörner meint zudem, der post sei «beautiful from the soul». Der Berliner Fotograf Flo Rian ergänzt: «Finally. Respekt Jannik!» Regisseur Marco Kreuzpaintner («Krabat») formuliert auf Englisch: «I am so happy for you. Well done, Superstar.»

Lil Nas X fühlt sich nach Coming-out «selbstbewusster»

Falls es überhaupt so etwas wie einen weitergehenden Kommentar von «Superstar»-Schümann gibt, dann vielleicht den, dass er sämtliche negativen Statements – falls es diese gegeben haben sollte (wovon bei Instagram auszugehen ist) – aus seinem Thread gelöscht hat. Somit bleibt seine Weihnachtsbotschaft uneingeschränkt positiv. Und somit auf ihre Weise absolut voller Empowerment, wodurch ein neues Niveau von Selbstverständlichkeit und stilvoller Casualness im Umgang mit nichtheterosexueller Liebe und Lebensweisen ausdrückt wird.

Dazu kann man in der Tat nur sagen: Respekt, Jannik!