Agavendicksaft ist zwar trendy, aber längst noch kein veganes Zaubermittel. Wie gesund ist der Zuckerersatz? Show
17. September 2021 | Aktualisiert: 11. April 2022 | 13 Kommentare Sprungmarken des Artikels: Inhalt
Artikel Abschnitt: Darum geht's: Darum geht's:Agavendicksaft ist sehr beliebtAgavendicksaft war noch in den 90er Jahren eine echte Rarität. Die Zuckeralternative aus Mexiko gab es damals nur in wenigen Reformhäusern, heute ist Agavendicksaft im Mainstream angekommen. Man findet es in fast jedem Supermarkt und auch in den meisten Drogerien. Mit Agavendicksaft kann man Zucker oder Honig ersetzen, wobei man mit der Dosierung besonders vorsichtig sein sollte. Denn Agavendicksaft hat eine höhere Süßkraft als Zucker, sodass schon eine geringe Menge zum Süßen ausreicht, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). In der Küche ist der Dicksaft aus dem mittelamerikanischen Kaktus aktuell auch deshalb so erfolgreich, weil er den Ruf hat, besonders gesund zu sein. Und: Agavendicksaft weist nur einen geringen Eigengeschmack auf. Nur dunkler Agavendicksaft ist etwas kräftiger im Geschmack. Artikel Abschnitt: Aber: Aber:Agavendicksaft ist weder gesund noch umweltfreundlichWie jeder andere Pflanzendicksaft und jeder andere Sirup, ist auch Agavendicksaft letztlich nur dickflüssiger Zucker, sagt Stefan Kabisch Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin der Charité in Berlin: “Ob es sich dabei vorrangig um Saccharose oder mehrheitlich Fruktose oder Glukose handelt, ist weniger relevant.” Der Kaloriengehalt sei der gleiche, so Kanisch. Hoher Fruktoseanteil ist problematischDoch es gibt noch ein weiteres Problem: Der Fruktoseanteil von Agavendicksaft ist besonders hoch. Der in Deutschland gehandelte Agavendicksaft hat einen Fruktose-Anteil, der zwischen 70 und 75 Prozent liegt. Wie schädlich ist Zucker? Tiermodelle zeigen: Fruktose fördert die Gewichtszunahme und die Bildung einer Fettleber stärker als Glukose. Beobachtungsstudien bei Menschen haben gezeigt, dass zu viel Fruktose ebenfalls zu Entwicklung einer Fettleber, aber auch zu Gicht oder Bluthochdruck führen kann. “Randomisiert-kontrollierte Studien sehen solche Nachteile nur bei hyperkalorischer Ernährung, nicht bei gleichbleibendem Körpergewicht”, ergänzt Forscher Stefan Kabisch. Fest steht: Von Vorteil ist Fruktose ziemlich sicher nicht. “Die beste Alternative zu Zucker ist daher weniger Zucker; auch für Zuckeralkohole und Süßstoffe ist ein klarer Vorteil nicht belegt und bestimmte Risiken sind weiterhin unklar”, so Kabisch. Hohe Süßkraft lässt Süßpräferenz bei Kindern steigenEs gibt bei Agavendicksaft noch ein weiteres Problem, und zwar die bereits beschriebene Süßkraft des Sirups. Durch die hohe Süßkraft (1,2- bis 1,5-mal höher als normaler Zucker) kann sich die Süßpräferenz bei Kindern steigen. Davor warnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn: “Durch die klebrige Konsistenz ist Agavendicksaft zudem eher zahnschädigend als Zucker.” Immerhin: Aufgrund des hohen Fruktosegehalts hat Agavendicksaft eine geringe glykämische Last, das heißt, er lässt den Blutzucker langsamer ansteigen als etwa normaler raffinierter Zucker. Im Vergleich zu diesem weist Agavendicksaft – wie alle unraffinierten Zuckersorten – zudem einen höheren Gehalt an beispielsweise Mineralstoffen oder Spurenelementen auf. Um diese Stoffe jedoch tatsächlich in aussagekräftiger Menge zu sich zu nehmen, müsste man mehrere Liter Agavendicksaft trinken. Werden negative Wirkungen durch Inulin ausgeglichen?Es gibt außerdem Stimmen, die behaupten, die negativen Wirkungen der Fruktose würden durch die positiven Eigenschaften von Inulin ausgeglichen. Inulin ist ein Mehrfachzucker aus Fruktose. Von Menschen kann Inulin nicht verdaut werden und die Fructose des Inulins wird entsprechend nicht aufgenommen. “Darmbakterien können es aber zersetzen und die so gebildeten kurzkettigen Fettsäuren werden resorbiert und verstoffwechselt”, so Kabisch. “Kurzkettige Fettsäuren sind für uns Menschen eigentlich ziemlich gut, sie verbessern die Darmschleimhaut und fördern eine gesunde Darmbarriere.” Außerdem verbesserten sie die Insulinsensitivität, erklärt Kabisch. Inulin hat unter anderem aufbauende Eigenschaften in verschiedenen Geweben, beispielsweise Leber, Fettgewebe und Muskulatur. Es bestimmt also, stark vereinfacht gesagt, wo ankommende Kalorien hingehen. Wer also beispielsweise Muskeln aufbauen möchte, der freut sich über eine hohe Insulinsensitivität der Muskulatur. Allerdings hat Inulin nicht nur Vorteile. Da es eine vermehrte Gasbildung bewirkt, kann es bei größeren Mengen zu Blähungen oder Durchfall kommen. “Daher ist es ratsam, Inulin nur in moderaten Mengen aufzunehmen”, sagt die Münsteraner Ökotrophologin Kraatz. Auch zu der Frage, ob sich Inulin günstig auf die Leber auswirkt, fehlt es aktuell noch an aussagekräftigen Daten. Erste Studien zu dieser Fragestellung laufen aber bereits. Doch der Anteil von Inulin spielt im Agavendicksaft ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Wenn man bedenkt, dass der Ballaststoffanteil von Agavendicksaft nur mit 0,5 Gramm auf 100 Gramm angegeben wird, wird auch der Inulinanteil gering sein, so Kraatz. “Das heißt, dass der Anteil an Inulin maximal 0,5 Prozent betragen kann”, weil Inulin im Ballaststoffanteil stecken muss. Die positiven Eigenschaften des Inulins spielen im Agavendicksaft also kaum keine Rolle. Inulin steckt auch in vielen anderen LebensmittelnInsgesamt gesehen nützt Inulin trotzdem mehr, als dass es schadet. Jedoch sind wir nicht auf hochkalorischen Sirup angewiesen, um es aufzunehmen. Es kommt auch in anderen Wurzel- und Lauchgemüsen vor, etwa in Artischocken, Chicoree, Lauch, Knoblauch, Zwiebeln oder in Schwarzwurzeln. Und es steckt in Topinambur, Bananen, Weizen oder Roggen. Auch für die Umwelt sind Agaven eher schädlichWährend es viele inulinhaltige Lebensmittel auch bei uns gibt, kommt der Agavendicksaft oft von weit her. Die hohe Nachfrage hat Agaven-Monokulturen weiter befördert, sagt Andreas Buerkert, Professor für Agrarökosystemforschung in den Tropen und Subtropen an der Universität Kassel. Agaven-Monokulturen gibt es vor allem in Zentralmexiko. “Wie jede Monokultur ist der Agavenanbau nicht unproblematisch”, erläutert Buerkert. Wird ausschließlich auf die Agave gesetzt, werden andere Pflanzen verdrängt. Zudem seien auf Agavenplantagen auch die Arbeitsbedingungen für die Erntehelfer nicht gut. Ein weiteres Problem: In Monokulturen verarmen die Böden, weil ihnen die immer gleichen Nährstoffe entzogen werden. Richtig problematisch ist es, wenn für den Agavenanbau Wälder in Mexiko abgehackt werden. Die Folge: Weniger Artenvielfalt, weniger Wälder und noch mehr Monokulturen. Nach einem Wachstum von etwa acht Jahren wird der süße Saft aus dem Herz der Agave entnommen. Die Erntezeit ist also sehr kurz. Nach diesem einmaligen Aderlass stirbt die Pflanze, so Buerkert. Der Saft wird sehr energieaufwendig eingekocht, bis der Wassergehalt nur noch bei 25 Prozent liegt, so die DGE. “Die meisten der in den Früchten enthaltenen Vitamine gehen dabei verloren.” Transport produziert viel CO2Schließlich muss das vegane Süßungsmittel mit großem Energieaufwand von Mexiko nach Europa transportiert werden. Der Saft muss zunächst von den Plantagen zum Hafen transportiert werden, von wo aus die Reise mit dem Schiff zumeist nach Rotterdam beginnt. Von dort aus geht es dann weiter mit dem Laster in die Verteilerzentren der deutschen Super- und Drogeriemärkte. Auch, wenn sich der CO2-Ausstoß nicht bis ins Detail berechnen lässt, da er von zu vielen Faktoren abhängt, so wird doch einiges an Kohlendioxid für unseren süßen Genuss aus Übersee ausgestoßen. Artikel Abschnitt: Und jetzt? Und jetzt?Zurückhaltung beim VerzehrAgavendicksaft ist ein Süßungsmittel. Und deshalb sollte er nicht anders behandelt werden, als Zucker oder Honig. Aufgrund des hohen Zuckeranteils sollten Verbraucher:innen bei der Verwendung von Agavendicksaft die tägliche Gesamtzufuhr von Zucker beachten, die bei 30 bis 50 Gramm pro Tag liegen sollte, wobei sämtliche Zuckeranteile in Lebensmitteln zu berücksichtigen sind. “Es wird empfohlen, nicht mehr als 30 Gramm Fruktose pro Tag aufzunehmen, wobei ein Teil bereits durch den empfohlenen Verzehr von zwei Portionen Obst pro Tag gedeckt wird und daher für Süßungsmittel wie dem Agavendicksaft nur noch ein geringer Anteil übrig bleibt”, sagt Alwine Kraatz, Ernährungswissenschaftlerin an der FH Münster. Es werde deshalb dazu geraten, nicht mehr als 1-2 Esslöffel Agavendicksaft pro Tag zu verwenden. Agavendicksaft durch regionale Produkte ersetzenAnstatt Dicksaft aus Agaven sollte man außerdem lieber auf Dicksäfte aus heimischen Früchten setzen, etwa aus Birnen oder Äpfeln. Auch Rübenkraut wäre eine Alternative aus Deutschland. Noch besser ist aber, die Süße in Desserts, Kuchen oder Joghurts generell zu reduzieren, darin sind sich Ernährungswissenschaftler:innen und Forschende einig.
Hinweis: Dieser Artikel wurde am 17. September 2021 umfassend aktualisiert, um die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Entwicklungen zu berücksichtigen. User:innen-Kommentare bis zu diesem Datum können sich daher auf ältere Informationen aus der vorherigen Version beziehen. Ursprünglich veröffentlicht: 02. November 2018 Über den Autor: Andreas Sträter ... ist promovierter Journalist und arbeitet in verschiedenen Positionen für Quarks. Themenschwerpunkte u.a. Landwirtschaft, Nutztierhaltung, Umwelt, Internationales, Aktuelles. Mit dem Laden des Beitrags akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Facebook. Beitrag laden Facebook-Beiträge immer entsperren Quellenangaben zum Artikel: Unsere Quellen
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