Wenn wir uns finden unter linden

Kein schöner Land in dieser Zeit,
Als hier das unsre weit und breit,
Wo wir uns finden wohl unter Linden
Zur Abendzeit.

Da haben wir so manche Stund,
Gesessen da in froher Rund′.
Und taten singen die Lieder klingen
Im Eichengrund.

Daß wir uns hier in diesem Tal,
Noch treffen so viel hundertmal,
Gott mag es schenken, Gott mag es lenken,
Es hat die Gnad'.

Nun, Brüder eine gute Nacht,
Der Herr im hohen Himmel wacht.
In seiner Güten uns zu behüten
Ist er bedacht.

Writer(s): Ulrich Kruger, Anton Zuccalmaglio Lyrics powered by www.musixmatch.com

Wenn wir uns finden unter linden

Rezensiert von Ulrike Ackermann · 27.05.2005

"Ich liebe dieses Land", sagte Horst Köhler nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten im Mai 2004. Diese Liebeserklärung steht für eine erneuerte nationale Identität, in der sich kritisches Geschichtsbewusstsein und ein Geschichtsgefühl für Land und Leute verbinden. Es wachse - so Eckhard Fuhr in seinem überaus anregenden Essay - wieder so etwas wie Vaterlandsliebe unter den Deutschen.

Jahrzehntelang war das Wort verpönt. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen geriet Auschwitz in den 70er und 80er Jahren zum negativen Gründungsakt eines neuen, postnationalen, wenn nicht gar antinationalen deutschen Selbstbewusstseins. Spätestens seit dem Historikerstreit 1986 bestimmte der Verfassungspatriotismus nach Habermas’schem Verständnis das Denken im linken und linksliberalen Milieu. Zu Zeiten der Wiedervereinigung sprach Jürgen Habermas vom "DM-Nationalismus" der Ostdeutschen und bediente damit Ressentiments gegenüber allem, was aus dem Osten kam und die postnationalen Konventionen hätte stören können. Doch die befürchtete Renationalisierung blieb aus. Positiv bewertet Fuhr deshalb:

"Die deutschen Identitätsdebatten der neunziger Jahre, die sich an der Frage des Regierungssitzes, am Holocaust-Mahnmal oder der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht entzündeten, sind Stationen eines bemerkenswerten Lernprozesses, in dessen Verlauf der Verfassungspatriotismus in das zunächst verabscheute Gehäuse des Nationalstaats einzog. "

Ausgerechnet einer rot-grünen Regierung fiel seit 1998 die Aufgabe zu, den postnationalen Sonderweg der westdeutschen Nachkriegsgeschichte zu beenden. Nicht zuletzt die Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Einsatz im Kosovo 1999 zur Beendigung der ethnischen Säuberungen steht für dieses neue Selbstverständnis. Die Bilder vom Krieg in Ex-Jugoslawien brachten zudem europaweit das Thema Flucht und Vertreibung aufs Tapet. Sie rührten damit auch an den eigenen Erfahrungen zu Zeiten des 2. Weltkriegs. So auch in Deutschland. Polemisierte Günter Grass 1990 noch gegen die Wiedervereinigung mit dem Hinweis, die Teilung Deutschlands sei die gerechte Strafe für Auschwitz, so hatte er zehn Jahre später ein untrügliches Gespür für die Veränderung der Befindlichkeit in der Republik. Sein Buch über die Versenkung des deutschen Flüchtlingsschiffs "Wilhelm Gustloff" mit fast 10.000 Menschen an Bord durch ein sowjetisches U-Boot am 30. Januar 1945 wurde zum Bestseller.

" Der "unverdächtige" Grass erzählt die lange verdrängte oder politisch instrumentalisierte Geschichte deutscher Opfer und deutscher Leiden und schlägt eine Brücke zwischen der öffentlichen bundesrepublikanischen Geschichtserzählung und den "unscharfen" Familiengeschichtsbildern, den Geheimnissen und Traumata der Eltern- und Großelterngeneration, die mit dem Aussterben dieser Generation offenbar noch einmal an die Oberfläche drängen. "

So Fuhr über den Erfolg des Grass-Buchs. In der deutschen literarischen Landschaft der letzten Jahre finden sich zahlreiche solcher dokufiktionalen Familiengeschichten, die die Kluft zwischen offiziellen und privaten Erzählungen sichtbar machen und gerade dadurch verkleinern. Es geht darin nicht mehr ausschließlich um die Schuld und das Versagen der Tätergeneration, sondern auch um die Vergegenwärtigung traumatischer Erfahrungen, ohne die die deutsche Nachkrieggeschichte nicht zu verstehen ist. Luzide und gelassen beschreibt Fuhr den Weg zu einem erweiterten Geschichtsbewusstsein und die Entfaltung eines neuen Patriotismus in Deutschland. Umso mehr erstaunt seine Polemik, wenn er die Debatten über den Irak-Krieg ins Visier nimmt. Da wettert er gegen den Freiheits-Bolschewismus der Amerikaner, die sich aus der politischen und institutionellen Gemeinsamkeit des Westens verabschiedet hätten. Mehr noch: die amerikanische Sicherheitsdoktrin sei die unerbittliche Negation all dessen, was Europa ausmacht. Pikanterweise gibt Fuhr in seinem brillanten Kapitel über "Die Deutschen und der Sozialstaat" gerade der Freiheit den Vorrang vor der Sicherheit. In der notwendigen Reform des Sozialstaats sieht er eine innenpolitische Normalisierung, die der bereits stattgefundenen außenpolitischen und dem neuen Selbstverständnis entspricht.

" Wer eine neue Erzählung über das Soziale durchsetzen will, eine Erzählung, die mehr von Freiheit und Selbstverantwortung handelt als die alte, eine Erzählung, die die Solidarität der Staatsbürger in den Mittelpunkt stellt und nicht die gegenseitigen Ansprüche der Versicherten, der muss wissen, dass er gegen den Nachhall eines ebenso schrecklichen wie wunderbaren Jahrhunderts anredet. Er kann allenfalls darauf vertrauen, dass die Geschichte manchmal dialektische Sprünge macht, in denen die Handelnden alt aussehen und trotzdem Neues hervorbringen,"

schreibt Fuhr. Im Gegensatz zum aufgeregten Geschrei in den Feuilletons über die demographische Katastrophe mahnt der Autor zur Sachlichkeit. Auf dem Papier habe die deutsche Sozialdemokratie den sozialpolitischen Paradigmenwechsel längst vollzogen. Aber politische Strahlkraft gewinnt sie damit erst, wenn sie ihn mental annimmt. Bausteine des Sozialstaats hat bereits Bismarck im vorletzten Jahrhundert gelegt. Hitler erkaufte sich die Zustimmung der Massen nicht zuletzt mit dem Ehegattensplitting, Kilometerpauschalen und den Zuschlägen für Sonn- und Feiertagsarbeit. In dem Film "Der Untergang" haben sich Millionen Deutsche die letzten Tage des Diktators im Bunker vergegenwärtigen können. Während dessen hat Götz Alys Buch über Hitlers Volksstaat, jenen "modernen, sozialpolitisch warm gehaltenen Gefälligkeitsstaat", eine neue Debatte entfacht. In Anknüpfung daran schreibt Fuhr:

" Im Sozialstaat Bundesrepublik ist viel von der sozialpolitischen Physiognomie der Volksgemeinschaft erhalten geblieben. Es gab - jenseits aller moralischen Bewertung - über 1945 hinweg mehr Kontinuität, als die Rede von der "Stunde Null" zugibt. Den Sozialstaat zu reformieren bedeutet auch, Abschied zu nehmen von den Resten eines volksgemeinschaftlichen Verständnisses des Sozialen und der Idee, dass der Staat Wohlstand verteile. "

Zum Abschluss seines Essays lüftet Fuhr das Geheimnis des Buchtitels "Wo wir uns finden". Die Zeile - uns allen vertraut - stammt aus dem 1838 niedergeschriebenen Volkslied "Abendlied im Sommer"

" Kein schöner Land in dieser Zeit, als wie das uns’re weit und breit, wo wir uns finden, wohl unter Linden, zur Abendzeit. "

Im Film der "Untergang" singen die Goebbels-Kinder das Lied als Ständchen zu Hitlers letztem Geburtstag. Wenige Tage später werden sie von ihrer Mutter mit Giftkapseln umgebracht. Diese Filmszene ist erschütternd, das Lied bleibt trotzdem im Ohr, auch im 21. Jahrhundert. Dieses Lied, so beschließt Eckhard Fuhr sein Plädoyer für die Vaterlandsliebe, ist nicht vergiftet.

Eckhard Fuhr: Wo wir uns finden - Die Berliner Republik als Vaterland
Berlin Verlag, 2005

Woher kommt das Lied Kein schöner Land?

Das Volkslied „Kein schöner Land in dieser Zeit“ geht auf Anton Wilhelm von Zuccalmaglio zurück und wurde 1840 erstmals veröffentlicht. Ab 1912 etablierte sich das Lied in der deutschen Wandervogel- und Singbewegung. Unzählige Liedfassungen für Chöre unterschiedlichster Besetzung belegen die Popularität des Liedes.

Wer singt Kein schöner Land?

Andrea JürgensKein schöner Land in dieser Zeit / Künstlerinnull