Was passiert in Deutschland wenn das Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert?

Keine Hinweise auf Freisetzungen radioaktiver Stoffe

Was passiert in Deutschland wenn das Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert?
Was passiert in Deutschland wenn das Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert?
Ukraine Quelle: Benjamin ['O°] Zweig/Stock.adobe.com

Angesichts des Kriegs in der Ukraine beobachtet das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die Lage vor Ort besonders intensiv. Die vier ukrainischen Kernkraftwerke sind immer wieder von Kampfhandlungen oder dadurch ausgelösten Stromausfällen betroffen.

Aufgrund von Beeinträchtigungen des ukrainischen Energiesystems wurden am 23. November alle Kernkraftwerke vorübergehend vom Netz getrennt, liefern mit Ausnahme des größten ukrainischen Kraftwerks Saporischschja inzwischen aber wieder Strom. Mitte Dezember kam es nach Angriffen auf Infrastruktureinrichtungen nach ukrainischen Angaben erneut zu weiträumigen Stromausfällen sowie zeitweise eingeschränkten Kapazitäten.

Alle radiologischen Messdaten sind unauffällig.

Bis zu 500 Messwerte in der gesamten Ukraine werden täglich durch das BfS überprüft. Alle vorliegenden radiologischen Messwerte bewegen sich im normalen Bereich. Gestützt wird dies von Berichten des ukrainischen Personals.

Kontinuierliche Beobachtung sichergestellt

Das BfS stellt eine kontinuierliche Beobachtung der Situation in der Ukraine sicher und ist in 24/7-Rufbereitschaft. Besonderes Augenmerk gilt dem Kernkraftwerk Saporischschja, den übrigen drei Kernkraftwerken sowie weiteren kerntechnischen Einrichtungen in der Ukraine.

Das BfS sieht keine akute Gefahr einer Freisetzung von radioaktiven Stoffen in der Ukraine, teilt aber insbesondere die Sorge der IAEA (International Atomic Energy Agency) um einen dauerhaft sicheren Betrieb der ukrainischen Kernkraftwerke. Die IAEA hatte diese mehrfach geäußert, so auch in einem Bericht zum Zustand der ukrainischen Kernkraftwerke Anfang September.

Für Deutschland wären die radiologischen Auswirkungen einer Freisetzung in der Ukraine begrenzt. Im schlimmsten Fall, also nur bei einem erheblichen Austritt von Radioaktivität und einer Wetterlage, die Luftmassen von der Ukraine nach Deutschland verfrachtet, könnten in Deutschland für die Landwirtschaft festgelegte Radioaktivitäts-Höchstwerte überschritten werden. Dann würde eine Kontrolle von Futter- und Nahrungsmitteln erforderlich werden, gegebenenfalls auch eine Vermarktungssperre für kontaminierte Produkte.

Neuesten Meldungen zufolge hat sich Folgendes ereignet:
Ort / DatumLage
Saporischschja-
21.12.2022

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Was passiert in Deutschland wenn das Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert?
Ukraine: KKW Saporischschja

Rund um das Kernkraftwerk Saporischschja kommt es immer wieder zu Kampfhandlungen, bei denen auch Teile der Infrastruktur beschädigt wurden. Messwerte aus der Ukraine und Meldungen des ukrainischen Personals vor Ort geben keinen Hinweis darauf, dass Radioaktivität ausgetreten sein könnte.
Das größte ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja steht seit März unter russischer Kontrolle, wird aber weiterhin von ukrainischem Personal betrieben.

Seit 11. September sind die Reaktoren des Kraftwerks weitgehend außer Betrieb und decken inzwischen lediglich den Eigenbedarf. Für die Kühlung und zur Aufrechterhaltung der Sicherheitssysteme ist die Anlage auf eine funktionierende Stromversorgung angewiesen. Normalerweise ist das Kraftwerk dafür über mehrere Leitungen mit dem Stromnetz verbunden. Infolge des Beschusses kam es aber immer wieder zu Schäden an den Leitungen, die das Kraftwerk versorgen. Zeitweilige Ausfälle der Stromversorgung konnten mit den dafür vorgesehenen Notstrom-Dieselgeneratoren überbrückt werden.

Die IAEA bekräftigt aber immer wieder ihre Sorge um einen dauerhaft sicheren Weiterbetrieb der ukrainischen Kernkraftwerke, insbesondere mit Blick auf Saporischschja.

Die Einschätzung der IAEA deckt sich weitgehend mit der Risikobewertung des BfS, wonach die Kampfhandlungen, die Arbeitsbedingungen der Angestellten sowie die Stromversorgung die größten Risikofaktoren für den sicheren Betrieb des Kraftwerks darstellen.

Riwne-
21.12.2022

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Ukraine: KKW Riwne

Ende November wurde das Kernkraftwerk Riwne aufgrund von landesweiten Beeinträchtigungen im Stromnetz ebenso wie die anderen ukrainischen Kernkraftwerke vom Netz getrennt. Die Reaktorblöcke konnten jedoch wieder ans Stromnetz angeschlossen werden.

Bereits Mitte November wurde eine der externen Stromleitungen beschädigt, woraufhin zunächst einer der vier Reaktorblöcke des Kraftwerks vom Netz getrennt wurde.

Chmelnyzkyj-
21.12.2022

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Ukraine: KKW Chmelnyzkyj

Ende November wurde das Kernkraftwerk Chmelnyzkyj aufgrund von landesweiten Beeinträchtigungen im Stromnetz ebenso wie die anderen ukrainischen Kernkraftwerke vom Netz getrennt. Die Reaktorblöcke konnten jedoch wieder ans Stromnetz angeschlossen werden.

Bereits wenige Tage zuvor wurde die externe Stromversorgung beschädigt und das Kraftwerk vorübergehend vom Netz getrennt. Der Ausfall konnte mit Notstrom-Dieselgeneratoren überbrückt werden. Zeitweise wurden beide Reaktorblöcke heruntergefahren.

Süd-Ukraine (Piwdennoukrajinsk)-
21.12.2022

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Ukraine: KKW Südukraine

Ende November wurde das Kernkraftwerke Süd-Ukraine aufgrund von landesweiten Beeinträchtigungen im Stromnetz ebenso wie die anderen ukrainischen Kernkraftwerke vom Netz getrennt. Die Reaktorblöcke konnten jedoch wieder ans Stromnetz angeschlossen werden.

Mitte September kam es zu einer schweren Explosion in der näheren Umgebung des Kernkraftwerks, nachdem die Gegend rund um das Kraftwerk zuvor mit Raketen beschossen worden ist. Die Reaktoren wurden dabei nicht beschädigt. Den Messdaten zufolge trat keine Radioaktivität aus.

Tschernobyl-
01.11.2022

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Ukraine: Tschernobyl

Nach der Einnahme und Besetzung des Kernkraftwerks Tschernobyl durch russische Truppen am 24. Februar kam es rund um die dort befindlichen Anlagen immer wieder zu Zwischenfällen.

Ende März gaben russische Streitkräfte die Kontrolle über das stillgelegte Kernkraftwerk Tschernobyl an ukrainisches Personal zurück. Russische Truppen haben sich seitdem vollständig aus der Sperrzone zurückgezogen.

Berichte über russische Soldaten, die nach ihrem Aufenthalt in Tschernobyl mit Strahlenkrankheits-Symptomen in ein belarussisches Zentrum für Strahlenmedizin gebracht wurden, ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Auf Basis der verfügbaren Informationen und der Kontaminationslage um Tschernobyl ist es aus Sicht des BfS aber unwahrscheinlich, dass die Soldaten eine entsprechend hohe Strahlendosis erhalten haben. Auch die IAEA konnte die Berichte bislang nicht bestätigen.

Ende August traten in der Sperrzone rund um das stillgelegte Kernkraftwerk Tschernobyl Waldbrände auf. Aufgrund der Brände konnte nicht ausgeschlossen werden, dass radioaktive Stoffe aus dem Boden und der Biomasse in die Atmosphäre gelangen und eventuell geringe Spuren davon außerhalb der Sperrzone nachgewiesen werden. Aus der Erfahrung mit früheren Bränden in der Sperrzone ist aber bekannt, dass selbst bei großflächigen Waldbränden keine Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung außerhalb der Sperrzone besteht. Die Waldbrandsaison ist inzwischen beendet.

Auf dem Gelände des 1986 havarierten Kernkraftwerks Tschernobyl befindet sich neben den spätestens seit dem Jahr 2000 stillgelegten Reaktorblöcken unter anderem auch eine Einrichtung für die Entsorgung von radioaktivem Abfall. Außerdem lagern dort etwa 20.000 Brennelemente.

Charkiw-
16.11.2022

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Ukraine: Charkiw

Das Institute of Physics and Technology in Charkiw war mehrfach Ziel russischer Angriffe. Nach Abschluss einer Beobachtermission Anfang November bezeichnete die IAEA das Ausmaß der Schäden als "dramatisch" und "größer als erwartet". Radioaktive Stoffe wurden aber nicht freigesetzt.

Das Forschungszentrum betreibt eine Neutronen-Quelle (die teilweise auch als "Forschungsreaktor" bezeichnet wird) sowie eine Einrichtung für die Produktion von Radioisotopen für medizinische und industrielle Anwendungen. Die Neutronen-Quelle war bereits vor Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen außer Betrieb genommen worden.

Ebenfalls in Charkiw befindet sich ein Lager für radioaktive Abfälle der Firma "RADON". Das Lager wurde bei Kampfhandlungen am 26. Februar getroffen. Es wurden keine radioaktiven Stoffe freigesetzt.

Messeinrichtungen werden regelmäßig überwacht

Mitarbeiter*innen des BfS überprüfen die Daten verschiedener Messeinrichtungen in der Ukraine seit Beginn des Krieges regelmäßig. Dafür stehen verschiedene Messeinrichtungen sowohl vonseiten der Behörden vor Ort als auch der Zivilgesellschaft zur Verfügung. Vor allem in Gebieten, in denen Kampfhandlungen stattgefunden haben, gibt es zwar weniger verfügbare Messdaten. Ein grundsätzlicher Überblick ist aber gegeben. Zusätzlich zu den Messstationen in der Ukraine selbst überprüft das BfS auch Messdaten aus den benachbarten Ländern.

Die BfS-Mitarbeiter*innen sind zudem in engem Austausch mit den internationalen Partnern, darunter auch der IAEA und der Europäischen Union (EU).

In Deutschland misst das BfS mit seinem ODL-Messnetz routinemäßig die natürliche Strahlenbelastung. Würde der gemessene Radioaktivitätspegel an einer Messstelle einen bestimmten Schwellenwert überschreiten, würde automatisch eine Meldung ausgelöst. Auch die Spurenmessstelle auf dem Schauinsland bei Freiburg wird regelmäßig überwacht, genauso wie die Spurenmessstellen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB).

Potenzielle Auswirkungen auf Deutschland untersucht

Das BfS hat sich bereits in der Vergangenheit mit der Frage beschäftigt, welche Auswirkungen bei Freisetzung radioaktiver Stoffe in ukrainischen Kernkraftwerken auf Deutschland zu erwarten wären.

Dazu wurde untersucht, wie sich radioaktive Stoffe verbreiten würden. Demnach bewegten sich über ein Jahr hinweg in der Vergangenheit nur an etwa 60 Tagen im Jahr die Luftmassen nach Deutschland (17 Prozent der Wetterlagen).

Landwirtschaftliche Produktion

Für den Fall, dass radioaktive Stoffe infolge einer Freisetzung in einem ukrainischen Kernkraftwerk nach Deutschland gelangen würden, würden sich die Notfallmaßnahmen voraussichtlich auf die Landwirtschaft und die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte beschränken.

Nach den Berechnungen des BfS ist nicht zu erwarten, dass weitergehende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung notwendig wären.

BfS rät von Einnahme von Jodtabletten ab

In Deutschland sind 189,5 Millionen Jodtabletten in den Bundesländern bevorratet, die bei einem Ereignis, bei dem ein Eintrag von radioaktivem Jod in die Luft zu erwarten ist, in den möglicherweise betroffenen Gebieten durch die Katastrophenschutzbehörden verteilt werden.

Die Einnahme von Jodtabletten schützt ausschließlich vor der Aufnahme von radioaktivem Jod in die Schilddrüse, nicht vor der Wirkung anderer radioaktiver Stoffe.

Von einer selbstständigen Einnahme von Jodtabletten rät das BfS ab. Eine Selbstmedikation mit hochdosierten Jodtabletten birgt gesundheitliche Risiken insbesondere für ältere Personen, hat aktuell aber keinen Nutzen.

Radioaktives Jod hat eine Halbwertszeit von wenigen Tagen. Das bei dem Reaktorunfall von Tschernobyl vor über 35 Jahren freigesetzte radioaktive Jod ist mittlerweile vollständig zerfallen und kann deshalb nicht mit dem Wind nach Deutschland transportiert werden.

Stand: 03.01.2023

Was würde passieren wenn das Atomkraftwerk in der Ukraine explodiert?

Dies könne zu einer Kernschmelze führen. Die Zerstörung der externen Stromversorgung der Anlage könnte laut Müllner im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze führen. Falls die Notfallgeneratoren vor Ort intakt bleiben, lassen sich die Reaktoren noch einige Tage weiterkühlen.

Wie weit strahlt ein Atomkraftwerk wenn es explodiert?

1986 kam es zu dem bis jetzt größten Unfall in einem Atomkraftwerk (AKW) in Tschernobyl. Um dieses AKW gibt es immer noch eine Sperrzone von 30 Kilometern.

Wie gefährlich ist AKW Ukraine für Deutschland?

Sollten radioaktive Stoffe aus dem AKW Saporischschja in der Ukraine austreten, hätte das nur begrenzte Auswirkungen auf die Bundesrepublik. Das Bundesamt für Strahlenschutz sieht für Deutschland deshalb keine akute Gefahr durch mögliche Radioaktivität aus der Ukraine.

Wie lange braucht radioaktive Strahlung von Ukraine nach Deutschland?

Entscheidend für die Verbreitung radioaktiver Stoffe sei die Wetterlage. Laut BfS bewegten sich aus der Ukraine "in der Vergangenheit nur an etwa 60 Tagen im Jahr die Luftmassen nach Deutschland - also in 17 Prozent der Wetterlagen".